Pilgern auf Athos: Praktische Erfahrungen und Tipps

Aufrichtige Erzählungen eines unorthodoxen Pilgers niedersten Standes für das Pilgern auf dem Athos und anderswo.

Pilgern zum Kloster Dionysiou auf Athos

Pilgern zum Kloster Dionysiou auf Athos

Der ungläubige Pilger am Athos

Ich bin ja der sprichwörtlich Ungläubige vom Dienst. Trotzdem (oder gerade deswegen?) waren mir während der 3 Wochen in 20 Klöstern von Berg Athos die Mönche recht gewogen, sind es in Einzelfällen sogar immer noch. Und abgesehen vom erschreckten Mönch im Kloster Grigoriou und den aus ganz anderen Gründen abweisenden Mönchen vom Kloster Esfigmenou hat mich auf der streng orthodoxen Männerhalbinsel Athos niemand agitiert oder abgelehnt.

Allerdings sind Pilger wie ich natürlich nicht ganz koscher und werden zwar durchweg freundlich behandelt, aber sicherheitshalber oft ein bisschen separiert. So passiert bei den Rumänen in der Skiti Prodromou und den Bulgaren im Kloster Zografou. Selbst die kosmopoltischen Mönche vom berühmten Hochkloster Simonos Petras haben uns (bis auf einen) erst so richtig angenommen, als der Unimog wieder lief. Aufrichtig herzlich von Anfang an waren eigentlich nur die Russen vom Kloster Panteleimonos.

Hatte insgesamt den Eindruck, dass manche Mönche froh waren, auch mal jemanden von außerhalb des orthodoxen Universums zu treffen. Jemanden, der sich nicht vor ihnen in den Staub wirft, sondern wie im Kloster Karakalou auch mal ein paar Fragen zum Leben da draußen beantworten kann. Wobei die Mönche schon Sendungsbewusstsein haben und alles zu wissen glauben.

Am besten aber finde ich den Athos, wenn ich allein einfach nur ungestört wandern und abseits der Klöster übernachten kann, ohne ständig ausgefragt oder gar monastisch bevormundet zu werden. Und siehe da, gemäß meiner aktuellen Pilgerlektüre sehe ich, dass stilles, gedankenverlorenes Pilgern sogar der Kern der Sache ist. Gemacht, ohne es zu wissen.

Erfahrungen mit dem einsamen Pilgern auf Athos

Erfahrungen mit dem einsamen Pilgern auf Athos

Eine Buchempfehlung der Mönche vom Athos

Die Mönche auf dem Athos halten sich dann aber zumindest mir gegenüber immer recht bedeckt bei Fragen nach dem großen Warum, Wieso und Weshalb. Dabei stocher ich doch so gern in Ungereimtheiten herum und will auf alle Fälle nicht doof sterben. Hab jedenfalls den Hinweis gekriegt, ich solle bei Fragen zum Pilgern doch die Aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers lesen. Okay, mache ich.

Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers

Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers

Das Büchlein mit immerhin 240 Seiten ist 1870 im russischen Kasan erschienen, wurde aber von einem Manuskript auf dem Berg Athos abgeschrieben. Im russischen Kloster Panteleimonos muss die Urschrift dieses Büchleins noch herumliegen. Zumindest gibt es Berichte von 1951, dass es da noch auf dem Athos war (S. 7).

Auszug aus Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers

Auszug aus Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers

Die aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers sind scheinbar schon vielfach übersetzt worden und haben „einen der ersten Plätze im spirituellen Schrifttum des Christentums eingenommen“ (S. 9). Na da bin ich mal gespannt.

Typen von Pilgern

Bin ja eher der Typus des „westlichen, rational eingestellten Menschen„. Der ideale Pilger hingegen ist Symbol des „ostkirchlichen geistlichen Erfahrungsweges“ und sucht nach seiner persönlichen Spiritualität. Ich hingegen habe auf dem Athos nicht nach der Spiritualität gesucht, sondern nach Fotos für meine Klosterliste, Ruhe und alten LKWs.

Und so direkt angesprungen hat mich die Spiritualität auf dem Athos auch nicht. Im Gegenteil. Viele Pilger sind doch ihren eigenen Problemen so verhaftet, dass sie das Strahlen des Athos gar nicht wahrnehmen. Blick nach unten, verhalten, verdruckst.

Viele orthodoxe Pilger gehen nämlich mit ganz konkreten Zielvorstellungen auf den Athos. Die Frau kriegt keine Kinder, die Ehe ist kaputt, der Krebs streut, die Ziege ist krank. Hab mir diese Probleme nicht ausgedacht, sondern auf den Wunschzetteln der Pilger in der Höhle des Heiligen Athanasiou gelesen. Oder war es im Gästebuch? Bin mir gar nicht mehr sicher. Ja, und das alles sollen nun die Mönche richten.

Aber es gibt auch die anderen Pilger. Offen, fröhlich, interessiert. Nun weiß ich nicht, was den Mönchen lieber ist. Aber ich kann mir vorstellen, dass die auch mal was vom Licht der Welt abhaben und nicht nur Probleme wälzen und für alles verantwortlich sein wollen.

Neben diesen zwei Haupttypen von Pilgern gibt es noch solche Mönchsverführer wie mich, die sich da so mit durchmogeln. Hab aber von meiner Sorte in insgesamt drei Wochen auf dem Athos nur noch einen getroffen. Einen Franzosen, der noch vor mir für den Sonnenaufgang auf den Athos gestiegen ist. Wobei, gestiegen ist gut. Der ist gerannt. War bestimmt so ein Bergabhaker. Aber der Mount Athos ist ja auch hübsch, wie er mit seinen 2.033 m direkt aus dem Meer aufragt.

Aussicht vom Mount Athos

Aussicht vom Mount Athos

Aufrichtig vom Athos erzählen?

Aber ich wollte ja von den aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers schreiben. Hab mich nämlich in diesem Buch gleich wiedergefunden. Denn ich war mir auch erst nicht sicher, ob ich meine Berichte vom Athos überhaupt veröffentliche. Schließlich will ich ja niemandem auf den religiösen Schlips treten.

Auch der namenlose „Pilger niedersten Standes“ (S. 23), dem die Pilgererzählungen zu verdanken sind, hat ja überlegt, ob er die Sachen überhaupt aufschreibt. Und hat sie letztlich auch gar nicht selbst veröffentlicht, sondern nur vertrauensvoll im Kloster hinterlegt. Wie ich. Meine Geschichte ist eigentlich auch nur im Kloster hinterlegt. Hab mich dann aber doch noch getraut, meine eigenen aufrichtigen Erzählungen von den Wanderungen auf Athos hier im Blog zu veröffentlichen.

Allerdings ist wieder mal typisch, dass in den aufrichtigen Erzählungen zwei Geschichten fehlen, denn schon damals hat sich jemand selbst zensiert, „weil er gedacht hat, sie könnten Leser aus dem Mönchsstand verstimmen“ (S. 8). Klar. Auch ich kann nicht jedem jede Geschichte vom Athos erzählen.

Doch erstaunlicherweise sind die Mönche und deren Fans bei meinen Geschichten vom Athos bislang erstaunlich relaxt geblieben. Hatte bis jetzt jedenfalls keinen Ärger mit meinen doch recht unorthodoxen Betrachtungen vom Athos. Mal abgesehen von den Revoluzzern im Kloster Esfigmenou hätte ich den Mönchen gar nicht so viel Liberalität zugetraut. Aber Mönche sind eben auch nicht von gestern. Erst recht nicht, seit es in den Klöstern WLAN und Handys gibt.

Athos-Mönch mit Handy

Athos-Mönch mit Handy

Geistige Erbauung beim Pilgern

Beim Lesen der aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers merke ich dann aber noch eine Parallelität. Irgendwie muss man nämlich die geistige Leere beim tagelangen einsamen Pilgern füllen. So habe ich jeden Tag thematisch unter eine Überschrift gestellt und versucht, mich gedanklich ausschließlich mit diesem Thema zu befassen.

Der Pilger im Buch ist von seinem Starez auf eine ähnliche Vorgabe eingeschworen worden und hat sich mental mit dem „vertieften Herzensgebet“ über Wasser gehalten. Und dieser Starez „erzählte vom heiligen Athos, von den frommen Gebetshelden, von vielen Klausnern und Eremiten“ (S. 160).

Schritte zum Herzensgebet sind nach dem Athos-Mönch Nikodemus von 1792 das Bemühen um die Verwirklichung der Weisungen Christi, dann kommt zweitens die Sorglosigkeit und drittens das Stoßgebet, das täglich genau 6000 mal wiederholt wird: „Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner“ (S. 14).

Hab`s gerade mal ausprobiert und die Zeit gestoppt: 10 mal das Herzensgebet dauert 32 Sekunden. Mit ein bisschen Übung schafft man also 20 Herzensgebete in der Minute und 1200 in der Stunde. 6000 Herzensgebete brauchen also ohne Verhaspelungen 5 Stunden. Okay, geht, obwohl ich kein frommer Gebetsheld mehr werde.

Nun gut. Mit fremden Weisungen als 1. Säule des Pilgerns habe ich so meine Probleme. Aber das mit der Sorglosigkeit als der 2. Säule kann ich nachvollziehen. Das ist wirklich eine der treibenden Motivationen beim Pilgern: Einfach so in den Tag hinein zu laufen und sich nicht darum zu kümmern, wo man abends am Athos übernachtet. Wer aber wie auf beim Wandern auf dem Jakobsweg nur von Herberge zu Herberge rennt, wird nie diese Sorglosigkeit erreichen.

Tja, und das permanente Beten als 3. Säule des Pilgerns sorgt einfach nur für geistige Fokussierung auf das eigentliche Ziel des Pilgerns. Kann ich nachvollziehen. Bin selbst drauf gekommen. Auch wenn ich das anders umsetze. Und mich dann doch ab und zu ablenken lasse. Mein Herz wird eben eher von einem schönen V8 gewärmt. Da gönntsch niedergnien. Naja, nicht ganz. Ist ja nur ein 29er.

Mercedes SK 1929 AK am Athos-Kloster Grigoriou

Mercedes SK 1929 AK am Athos-Kloster Grigoriou

Permanentes Herzensgebet auf Athos?

Im Athos-Film wird das Herzensgebet ebenfalls vorgestellt. Hatte das erst für eine Finte gehalten. Denn wenn die Mönche in der Stille ihrer Kammern lange genug täglich 6000 mal das Herzensgebet sprechen, übernimmt dann der Herzschlag das Gebet. Ab da muss man also nichts mehr vor sich hinmurmeln, sondern kann als Mönch den Tag Tag sein lassen.

Man braucht halt nur den richtigen intellektuellen Überbau und kann dann das Mönchstum sehr effizient angehen. Das Herz schlägt. Also betet der Mönch. Pflichterfüllung en passant sozusagen. Jetzt braucht es bloß noch einen coolen Begriff: So jemand, der sitzt und schweigt und mit dem Herzen betet, ist ein Hesychast. Und zwar schon seit den Zeiten der Wüstenväter im dritten Jahrhundert (S. 12). Was ist aber jemand, der sitzt und schweigt und am Handy spielt?

Das Hauptproblem des Ganzen wird in den aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers auch angesprochen: „Ist solches Beten – und damit das Streben nach Verinnerlichung überhaupt – nicht zu sehr ich-bezogen und zu wenig auf tätige Nächstenliebe und auf Gemeinschaft ausgerichtet?“ (S. 21). Aha. Gut, dass ich das Buch lese. Jetzt weiß ich doch, warum die Mönche so mit sich beschäftigt sind.

In Gedanken versunkener Mönch auf Athos

In Gedanken versunkener Mönch auf Athos

Essen beim Pilgern

Und noch ein Gleichnis gibt es zwischen dem namenlosen russischen Pilger und mir: Das ist die Ernährung. Mit einem Brot und einem kleinen Säckchen Salz kommt der Pilger eine Woche hin (S. 91), kehrt allerdings bei seinen jahrelangen Wanderungen von Kasan (?) nach Tobolsk nach Irkutsk nach Odessa und weiter nach Kiew gern auf Bauernhöfen ein (S. 132).

Kann jedenfalls das mit der einfachen Kost bestätigen. Brot und mal eine Birne, ein Apfel oder eine Melone vom Wegesrand reichen vollkommen aus. Und frisches Quellwasser gibt es auf dem Athos an jedem Kloster. Nichts war jedenfalls auf dem Athos überflüssiger als die Fressorgie in Karyes. Und so gehört zu meiner ultraleichten Pilgerausrüstung auch keine warme Küche.

Wasser fassen beim Pilgern am Athos

Wasser fassen beim Pilgern am Athos

Infos

Die Aufrichtigen Erzählungen sind nun nicht unbedingt ein Athos-Reiseführer, aber zur spirituellen Vor- oder Nachbereitung ziemlich aufschlussreich. Dazu noch den Athos-Film anschauen, und dann kriegt man eine ganz gute Vorstellung vom Denken der Mönche.

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