Hunger, Hitze und Blasen auf dem Jakobsweg nach Kamenz

Bei voller Hitze die ganze Zeit auf dem asphaltierten Jakobsweg unterwegs zu sein, ist wirklich kein Vergnügen.

Zelt statt Pilgerherberge

Obwohl wir nach der gestrigen Wanderung über die Drehsaer Schweiz und Bautzen so idyllisch stehen, ist es doch erstaunlich, wie stark die nahe Autobahn diese Idylle beeinträchtigt. Das Rauschen nimmt kein Ende, obwohl wir die Autos und LKWs auf der A4 nicht einmal sehen. Dazu haben ein paar Wildschweine im Wald gegenüber die Nacht zum Tag gemacht.

Hab zwar beim Wecken um 07:00 Uhr schon glatte 11 Stunden geschlafen, bin aber müde, als ob ich gerade ins Bett gegangen wäre. Trotzdem, ein schöner Platz mit schöner Aussicht. Kleines staubiges Wäldchen, wir danken dir. Naja, ich danke dir. Der andere Teil unserer Pilgergemeinschaft würde Herbergen bevorzugen. Ich wiederum würde lieber nicht den Jakobsweg gehen, sondern irgendeine schönere Strecke durch die Berge. Da muss man eben irgendwie zusammenkommen.

Am wichtigsten sind die Füße

Während der Kocher läuft, pflegen wir unsere Füße mit so einer harten Spezalbuttercreme von DM. Ist wie so ein Stück Seife. Hab da gute Erfahrungen mit gerissenen Fußsohlen gemacht. Nur leider gibt es die Hartkörperbutter nicht mehr. Ich muss mir echt angewöhnen, von bewährten Dingen gleich einen Lebensvorrat anzulegen.

Wichtig finde ich aber vor allem passende Wanderschuhe und natürlich meine geliebten Falke Wanderstrümpfe. Ich trage gern und oft Barfußschuhe, würde mich aber nie und nimmer trauen, die auf so einer langen Wanderung auf Asphalt und mit Gepäck zu benutzen. Nee, das müssen ordentliche, wasserdichte Wanderschuhe mit ordentlichen Wanderstrümpfen sein.

Hungerwanderung

Start um 07:30 Uhr. Wie gehabt ohne Frühstück. Bei einer Zeltwanderung mache ich das eigentlich immer so, damit man erstmal die verräterischen Übernachtungsspuren beseitigt, sich vom Ort halblegaler Handlungen entfernt, ein bisschen Wärme von innen aufbaut und an einem schönen Platz in der Sonne sitzen kann.

Allerdings zieht sich der Weg bis zum Frühstück, da es hier keine Bänke gibt.

In Dreikretscham gibt es sogar einen Bäcker, aber wir haben angeblich genug zu essen. Muss also vorbeigehen und ohne ein Stück Oberlausitzer Kleckselkuchen weiter an der doofen, banklosen Landstraße langlaufen. Meine ganze Wanderroutine wird auf dem Jakobsweg auf den Kopf gestellt. Normalerweise isst man nämlich, wenn es was gibt. Und läuft schon gar nicht an einem Bäcker vorbei, bloß weil man gerade laufen will.

Die katholische Oberlausitz ist ja auch das Land der Sorben und erst nach dem Prager Frieden 1635 zu Sachsen gekommen. Sieht man sehr deutlich an den alten Wegkreuzen, die dem armen, am Kreuz verhungerten und verdursteten Jesus gedenken.

Storcha. Wieder nix mit Frühstück. Hätte ich den Weg ausgesucht, würde ich jetzt direkt Vorhaltungen kriegen. Aber weil das der Jakobsweg ist, ist alles okay. Wir laufen also und laufen und laufen, und zwar ohne Frühstück und ohne Fußweg. Aber spätestens an der Kirche Crostwitz werde ich nach 7 km Hungermarsch frühstücken, egal ob dort eine Bank ist oder nicht.

Das schöne, herrliche Crostwitz

Doch schon in Sichtweite der Crostwitzer Kirche muss der Jakobsweg unbedingt eine Verlängerung machen. Anstatt direkt auf die Kirche zuzuhalten, laufen wir erstmal links, dann wieder rechts und dann wieder rechts. Damit wird die Reststrecke doppelt so lang. Allerdings auch doppet so schön, weil wir das letzte Stück Asphaltstraße über Feldwege umlaufen. Und noch vor Crostwitz finden wir um 09:00 Uhr unter drei Birken dann doch eine Bank.

Die zwei Stunden hungern bis hierher haben sich aber gelohnt. Auf unserer Pilgerbank ist es schön schattig, wir haben die Kirche von Crostwitz im Blick und bis auf einen Trecker hinter uns ist es sogar mal ruhig. Endlich dickes Honigbrot. Dazu Tee und Äpfel. 09:45 Uhr sind wir bereit für die Kirche. Und weg ist sie. Hey, warte, ich bin noch gar nicht fertig mit einräumen.

Kirche und Friedhof Crostwitz sind das gepflegteste, was wir bisher am Jakobsweg gesehen haben. Auf dem Friedhof überwiegend sorbische Gräber.

Trotzdem ist der Pfarrer total gestresst, weil er uns nicht in die Kirche lassen kann. Denn gerade wird gebaut, und Gottesdienste müssen in der Scheune abgehalten werden. Aber uns juckt das nicht. Wir sind nämlich ehrlich gesagt gar nicht so sehr wegen der Kirche hier, sondern wegen dem Wasserhahn am Friedhofsbrunnen.

Schließlich haben wir nur ultraleichtes Gepäck und halten die Vorräte so gering wie möglich. Trotz kompletter Zeltausrüstung hat jeder nur einen 40-Liter-Rucksack. Ich mag ja beide. Den gelben (leider nicht mehr hergestellten) Ortlieb-Rucksack, weil er so robust, leicht und wasserdicht ist. Und den grünen Vaude Asymmetric, weil er ein richtiges Tragesystem mit gut belüftetem Rücken und vielen schönen Details hat. Aber beides sind keine Frauenrucksäcke, und so müssen wir ab und zu mal tauschen.

In Crostwitz gibt es sogar eine Pilgeroase.

Und selbst die Bauarbeiter auf der Straße sind ganz stolz auf ihr Dörfchen und fragen mich gleich, ob es hier nicht schöner als in Bayern ist. Na, da fragen sie ja den Richtigen. Aber ja, hier ist es wirklich hübsch.

Arme Klosterbäckerei Marienstern

Vor allem aber müssen wir ab Crostwitz keine befahrene Asphaltstraße mehr laufen, sondern flanieren unter uralten Apfelbäumen nach Panschwitz-Kuckau zum Kloster Marienstern.

Im berühmten Kloster Panschwitz-Kuckau riesige Mauern um riesige Gebäude.

Aber irgendwie springt der Funke nicht so richtig über.

Auch in der Klosterbäckerei gibt es nur ein Stück trockenen Streuselkuchen und komische Pilgerfüße. Enttäuschung durch und durch.

Bögen im Jakobsweg

Dazu schlägt der Jakobsweg nach Kamenz einen komischen Bogen. Der direkte Weg nach Kamenz würde 7 km nach Nordwesten entlang der Straße führen. Stattdessen laufen wir auf einem Feldweg 5 km durch glühend heiße, fast schon spanische Steppe nach Norden. Bin aber zum Glück vorbereitet und hab meinen Pilgerschlapphut dabei.

Feldweg ist zwar besser als Straße, aber dann kommen trotzdem 7 km Straße Richtung Kamenz. Ich weiß auch nicht, was die sich bei der Streckenführung denken. Aber egal, wir folgen dem Weg der Muschel und ich lerne es schon noch, das Denken abzustellen.

13:00 Uhr kommen wir kurz vor Dürrwicknitz an einem schattigen Wäldchen vorbei und machen erst mal Pause. So richtig mit Augen zu.

Nach einer Stunde sind wir wieder fit und Schlag 14:00 Uhr geht’s weiter. Nur leider können wir nicht die ganzen leckeren Äpfel aus dem Straßengraben mitnehmen.

In Nebelschütz sehen wir den Grund für die Umleitung. Die Oberen wollten uns arglose Pilger an der Kirche von Nebelschütz vorbeiführen.

Langweiliger Pilgerweg, schönes Kamenz

Die 7 km Jakobsstraße nach Kamenz ziehen sich. Und Kamenz selbst ist am Anfang auch nicht so toll. Nach dem Speckgürtel wird es aber besser.

Es geht erst schnell runter, dann durch das Herrental über eine lange Treppe wieder steil hinauf auf den Altstadtfelsen. Da oben thront das eigentliche, alte Kamenz mit Marktplatz und rotem Rathaus. Wirklich hübsch.

Sorry, aber im Goldenen Hirschen muss ich mir zur Erholung Wanderschuhe und Wanderstrümpfe ausziehen. Ist das schön auf den warmen Steinplatten am Marktplatz. Verstehe schon den Traum, barfuß zu laufen. Aber eine der ältesten Errungenschaften der Menschheit sind geschützte Füße. Da würde ich nicht freiwillig verzichten.

Qualvolle Wanderung in Barfußschuhen

Es ist jetzt 17:00 Uhr und wir müssen trotz Blasen an ihren Füßen bis zum angepeilten Steinbruchsee noch 4 km laufen. Zumindest wäre das der normale Jakobsweg über den Hutberg. Doch da gibt es ja noch die Zwei-Kilometer-Option an der Straße lang. Aber von mir rausgesucht, nix Jakobsweg. Nun gut, Straßen sind wir heute schon genug gelaufen. Da kommt es jetzt auch nicht mehr drauf an. Ich frage mich sowieso, wie man mit diesen Blasen an den Füßen überhaupt noch laufen kann. Ich hätte schon lange das Handtuch geworfen und mich abholen lassen. Aber ich bin ja auch nur ein Mann.

Da ich jedoch durch die Abweichung vom Jakobsweg nun selbst für die Streckenführung verantwortlich bin, hoffe ich die ganze Zeit inständig, dass der per Luftbild rausgesuchte Steinbruchsee auch wirklich was ist. Wenn wir dort nichts finden, bin ich erledigt.

Aber Gott sei Dank entpuppt sich der Steinbruchsee als Glücksfall. Gleich an der erstbesten Stelle werfen wir unsere Sachen weg und springen ins Wasser. Es ist so herrlich, nach einem langen Tag auf dem Jakobsweg im kalten Wasser zu schwimmen. Das entschädigt wirklich für den harten Pilgertag heute. Und ja, diesen See habe ich mir als Variante ausgedacht.

Danach finden wir auch noch einen Platz für mein kleines Lieblingszelt, und endlich fällt die Last der Verantwortung von meinen Schultern.

Es wird aber nichts mit Abend genießen, sondern wir gehen schon 20:00 Uhr ins Bett. Ist natürlich schön bequem auf den Luftmatten, aber ich hätte jetzt lieber noch zwei Stunden am Lagerfeuer gesessen und die Zweisamkeit genossen. Wenn man nur wandert und schläft, kann man sonst ja wirklich auch in die Pilgerherberge gehen.

Statt Vorlesen diktiere ich diesen Text. Das ist ja so ähnlich. Also gute Nacht, schlaf schön. Tja, und was mache ich jetzt noch? 25 km Wandern sind dank guter Wandersocken jetzt nichts, was mich fix und fertig machen würde. Baden war ich schon, also beobachte ich noch die Sterne am Himmel und hoffe darauf, dasss der Mond für ein schönes Foto das Ufer auf der anderen Seeseite beleuchtet. Aber der Mond will auch nicht so, wie ich will, und so schlafe ich irgendwann dann doch noch ein.

Dreikretscham – Storcha – Prautitz – Crostwitz – Panschwitz-Kuckau – Wendischbaselitz – Nebelschütz – Kamenz – Steinbruch | 25,3 km | 94,2 km gesamt | 208 m Aufstieg | 195 m Abstieg

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2 Antworten

  1. Klaus sagt:

    Mit großer Verwunderung lese ich von Deinen Aktivitäten hier, die Du seit Deinem Sturz in die Tiefe unternimmst.
    Von einem Handgelenkbruch hat man durchschnittlich so ca. 12 Monate, bis man die Hand wieder halbwegs wie zuvor bewegen kann und die Kraft auch wieder da ist. Spreche da auch aus persönlicher Erfahrung. Dinge wie z. B. Ventile am Motorrad einstellen sind da eigentlich schier unmöglich. Nun, vielleicht hast Du ja einen Selbstheilungsturbobooster, auch was Deine Bein/Fußverletzung betrifft. Wäre interessant und hilfreich zu wissen, wie Du das angestellt hast.

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