Wo ist der Anfang vom Jakobsweg?
Irgendwann muss man ja mal anfangen mit dem Wandern auf dem Jakobsweg. Aber wann und wo und wie?
Die Krux mit dem Jakobsweg
Jetzt ist es soweit mit dem Jakobsweg. Bin ganz aufgeregt, damit zumindest die Ausrüstung perfekt ist. Dank (oder trotz) Ultraleichtzelt, Gaskocher, Titantopf, Powerbank, Regenhosen und der ganzen voll autarken Trekking-Ausrüstung tragen wir beim Start auf dem Jakobsweg nur 9 bzw. 13 kg. Und zwar komplett mit beiden 40-l-Rucksäcken, Essen und Trinken.
Ohne Zeltausrüstung wären die Rucksäcke zwar leichter, aber ich hab so schon keinen Bock, mit tausenden Leuten auf demselben Trampelpfad zum selben Ziel zu latschen und in denselben Doppelstockbetten zu nächtigen. Wenn wir aber möglichst weit vom großen Jakobsrummel anfangen und im Zelt statt in Pilgerherbergen schlafen, könnte die Sache auch für mich erträglich sein. Und so definieren wir den Anfang des Jakobsweges in Görlitz. Das macht keiner, da fährt die Bahn hin, da ist es super.
Start des Jakobswegs in Zgorzelec
Allerdings fährt der Trilex gar nicht nur nach Görlitz, sondern bis Zgorzelec. Okay, fangen wir unseren Jakobsweg eben in der polnischen Hälfte des alten Görlitz an.
Zgorzelec ist nicht so hochglanzpoliert wie Görlitz, hat aber gerade deswegen auch Charme.
Und noch in Zgorzelec sehen wir die ersten Wegweiser für den Jakobsweg und kriegen mit, dass die Via Regia gar nicht hier anfängt, sondern in Vilnius. Ooch, da hätte ich ja den befürchteten Einmarsch in Santiago de Compostela noch weiter hinauszögern können.
Mittag statt Zapikanki
Mittagszeit. Hätte jetzt Appetit auf Zapikanki. Aber wir sind schon an der Neißepromenade, da gibt’s sowas nicht.
Dann eben das Schickimicki-Restaurant.
Eigentlich reicht mir fürs Mittag ein Obststand. Aber ich will mich nicht beschweren, denn dieser Mittagsteller kommt dem schon ziemlich nahe.
Start des deutschen Jakobsweg an der Görlitzer Altstadtbrücke
13:45 Uhr beginnt an der Görlitzer Altstadtbrücke die eigentliche Wanderung auf dem Jakobsweg.
Sehe mir von der Brücke schnell noch die Paddelstrecke auf der Neiße an, denn schließlich wollte ich hier mal einsetzen. Aber das ist wirklich nicht so ideal.
Wir drehen eine Runde um die Kirche und gehen sogar rein. Allerdings ist hier niemand, den wir nach einem Stempel fragen können. Wobei mir die Stempel egal sind. Im Prinzip ist mir auch der Jakobsweg egal, ich mag einfach Natur, Wald, Berge und Ein- bzw. Zweisamkeit. Und wenn der Jakobsweg das Vehikel ist, um quer durchs Land zu wandern, dann wandere ich eben auf dem Jakobsweg quer durchs Land.
Und ja, ich versuche, meinen Kopf auszuschalten und nicht immer alles exakt zu planen, zu koordinieren und zu kontrollieren. Hab zwar sicherheitshalber einen GPS-Track auf dem Handy, aber schon ab Görlitz ist der Jakobsweg absolut sauber ausgeschildert. Überall kleine Muschelsymbole an den Schildern, Hauswänden oder Säulen.
Kann also Karte, Handy und GPS-Track wegstecken und mich aufs Pilgern konzentrieren. Aber übertreiben müssen wir es mit der Frömmigkeit nun auch wieder nicht. Am Heiligen Grab gehen wir vorbei.
Feldwege ins Schöpstal
14:30 Uhr sind wir raus aus der Stadt und ich hab mittlerweile auch keine Befürchtungen mehr, dass wir immer nur auf rollatorgerechten Wegen inmitten von Pilgerscharen unterwegs sind. Es geht zwar anfangs an einer großen Straße lang, aber dann beginnt ein netter, einsamer Feldweg quer übers Land. So könnte es weitergehen.
Nach Karte sieht der Verlauf des Jakobswegs ziemlich langweilig aus und umgeht sämtliche geomorphologische Attraktionen. Aber vor Ort ist dennoch alles hübsch und liebevoll gemacht.
Und so denke ich schon nach wenigen Kilometern nicht mehr über Optimierungen und Verbesserungen nach, sondern folge einfach der vorgegebenen Route. Das wird meine Mission. Einfach der Muschel folgen, den Kopf ausschalten und ein lieber Junge sein, der macht, was ihm gesagt wird. Mal sehen, wie lange ich das aushalte.
Hingabe an den Jakobsweg
Auch in Ebersbach folgen wir streng der Ausschilderung. Hoffe, so ein echter Pilger zu werden. Ohne nachzudenken und ohne zu murren. Allerdings bestehe ich auf der Trekking-Komplettausrüstung. So viel Freiheit muss sein.
Bin nämlich wirklich etwas skeptisch in Bezug auf den Jakobsweg. Gerade auch meine Gedanken über die dumme Streckenführung stellen sich jedoch als überflüssig heraus. Ganz im Gegenteil, es ist auch mal schön, einfach nur an einer Landstraße lang zu laufen. Hab diesen Weg ja nicht ausgesucht und bin also auch nicht verantwortlich dafür. Würde es nie wagen, solche Wanderrouten zu propagieren.
Fange also Schritt für Schritt an, ein echter Pilger zu werden. Und das scheint man uns auch anzusehen, denn es gibt viele Leute, die uns als Pilger ansprechen. Da ist mir gleich so goethesk zumute.
Pilgerversorgung
In Liebstein reicht eine Frau eine Birne und einen Apfel über den Zaun. 500 m weiter steht eine Bank mit Sonnenschirm und einem ganzen Korb mit Äpfeln und Birnen. Hier im tiefen Osten ist die Welt noch in Ordnung.
So sitzen wir da, schnurpsen leckerstes Obst und schauen rüber zur Landeskrone.
Aber nein, wir nehmen nichts mit. Erstens ist das alles zu schwer und zweitens kriegen wir jederzeit Nachschub an Früchten der Saison. Naja, und drittens müssen wir das Loslassen üben und uns nicht noch mehr aufhalsen.
Zelt statt Pilgerherberge
Bin nämlich immer noch nicht ganz bereit für den Jakobsweg. Die komischen Straßenabschnitte gehen ja noch. Hab aber vor allem keinen Bock auf Pilgerherbergszwangsaufenthalte. Und so gehe ich ohne komplette Zeltausrüstung nirgendwo hin. Nun klingt Autarkie so nach Freiheit, aber im Prinzip ist es das genaue Gegenteil. Kann nämlich gegen Abend hin nicht mehr einfach so der Muschel folgen und mich treiben lassen.
Stattdessen muss ich immer wieder auf die Karte schauen, die Restkondition einschätzen und jederzeit ein geeignetes Übernachtungsplätzchen parat haben. Zu Fuß gibt es da nicht viel Spielraum, wenn es ein bisschen hübsch sein soll. Schwierigkeiten macht insbesondere die Frage, ob ein blauer Fleck auf der Karte nun zum Baden geeignet ist oder nicht. Trocken im Wald zelten geht immer, aber an einem Badesee, das ist so eine Sache. Jedenfalls gibt es hier inmitten der Königshainer Berge einige alte Granitbrüche. Hoffe, dass wir da baden können.
Aber der erste Steinbruchsee ist nur Entengrütze und verheißt nichts Gutes. Wobei das ja eigentlich nur eine Kopfsache ist. Unter dem Grünzeug ist sicherlich feinstes Wasser.
Na gut, dann eben nicht. Es ist zwar jetzt schon 17:45 Uhr, aber ein bisschen Zeit haben wir noch bis zur Dunkelheit. Können also erst mal noch auf den 373 m hohen Totenstein klettern, einen schönen Granitfelsen mit Wollsackverwitterung. Hier hat man schon in der Bronzezeit Partys gefeiert. Man merkt schon, kaum sind wir weg vom Jakobsweg, werde ich rückfällig und schalte den Kopf wieder ein.
Der Hamannbruch sieht endlich aus wie erwartet. Aus diesem Loch könnte der Berliner Reichstag entstanden sein. Und alles, was hier übrigbleibt, sind hohe Granitwände, die die Badezimmertür blockieren.
Finde dann doch einen Zugang zum Wasser, befreie ein Stück Waldboden von Kienäpfeln und baue das Schlafzimmer auf. Allerdings ist das Vaude Hogan SUL mit nur 1,2 kg zwar super leicht, aber auch super klein.
Am Farbton von Heringen und Hose sieht man, dass beide aus einem Stall kommen.
18:30 Uhr ist die mobile Pilgerherberge aufgebaut.
Jetzt kommt das Beste nach der Wanderung über den staubigen Jakobsweg: Das Bad. Obwohl der Zugang über die glitschigen, scharfkantigen Steine doof und das Wasser kalt ist, begeistert die Erfrischung. Tja, das kann keine Pfarrei bieten.
Sitzen erst noch ein wenig draußen, gehen aber wegen Mücken und Kälte schon 19:30 Uhr ins Bett. Das Vaude Hogan ist ja für 1-2 Personen mein absolutes Lieblingszelt, aber zu zweit muss man sich gut verstehen. Trotzdem finde ich das enge Zelt wesentlich besser als eine miefige Pilgerherberge. Also vermeintlich, denn ich war ja noch in keiner. Und ich hab’s auch nicht vor.
Dann diktiere ich noch schnell diesen Text, und wie ich fertig bin, schlafen auch schon 50% der Jakobspilger. Ooch, so hatte ich mir das mit der Zweierpilgerei nun wieder auch nicht vorgestellt. Bin also jetzt ganz allein mit meinem Kopf. In der Dämmerung sind die Geräusche des Waldes ganz intensiv. Eulen schuhuhen, Füchse bellen, ein Stein klatscht ins Wasser und alle möglichen komischen Geräusche dringen ans Ohr. Erst mit der richtigen Dunkelheit wird es ganz still. Komme erst jetzt auch mal zur Ruhe. Bin eben doch kein richtiger Pilger.
Bahnhof Zgorzelec – Görlitz – Ebersbach – Liebstein – Totenstein – Hamannbruch | 17,7 km | 260 m Aufstieg | 141 m Abstieg | 401 m gesamt
mach doch bitte eine kleine Karte dazu mit den Abschnitten, wie beim Athos damals, dann kann man Deine Route verfolgen.
Wann war der Trip ?
Den GPS-Track vom Jakobsweg habe ich nicht aufgezeichnet. Da läuft man wirklich nur der Muschel hinterher und braucht sowas nicht. Aber ich habe mal oben im Text einen Kartenausschnitt mit dem Anfang des deutschen Jakobswegs auf der Altstadtbrücke Görlitz ergänzt.