Athos: Das Kreuz der Gastarbeiter

Die Arbeit an der Kupplung vom Kloster-Unimog treibt mich in eine Krise, aber für echte Gastarbeiter ist das Jammern auf hohem Niveau.

Arbeiten und Leben als Gastarbeiter auf Athos

Windige Nacht über Athos

Gestern dachte ich ja, die Markise könnte ich so lassen, schließlich stehen wir eigentlich ganz gut geschützt. Aber 04:45 Uhr weckt mich mein Jüngster, weil der Wind gehörig an der Markise rüttelt. Muss also raus und das Ding einklappen. Ist hier oben am Kloster tatsächlich ganz schön frisch und windig. Aber jetzt wieder ins Bett!

Arbeiten und Leben als Gastarbeiter auf Athos

Auch früh liegt das Kloster noch lange im Schatten. Haben nach der Hitze der letzten Wochen wirklich einen schönen Stellplatz hier. Werde ich gleich mal in meiner besten Stellplatz-App für Expeditionsmobile eintragen.

Arbeiten und Leben als Gastarbeiter auf Athos

Zum Glück haben wir nach dem ersten Empfang mit den Pilgern im Kloster Essen und Unterkunft komplett abbestellt, sodass wir unsere Freiheit haben. Mit den Vorräten aus dem Bus sind wir sowieso besser dran. Allerdings nutzen wir den großen Kühlschrank der Klosterküche, denn unser eigener Kühlschrank im Bus kühlt schon wieder überhaupt nicht mehr. Von der Arbeiterküche gibt es einen schönen Rundblick über das Kloster. Aber die ganze Anlage ist wie ausgestorben.

Arbeiten und Leben als Gastarbeiter auf Athos

Sinnlose Arbeit an der Kupplung

Passe mich als unechter Gastarbeiter auch schon langsam dem ortsüblichen Arbeitszeitregime an. Naja, nicht ganz, denn es geht schon 12 Uhr mit der Arbeit am Unimog U1300L los – natürlich wieder ohne mönchischen Beistand. Das ist schade, denn ich mag es, gemeinsam an einer Sache zu arbeiten und nicht nur alleine.

Zum Glück sind meine Jungs dabei und helfen mir. Wir schnappen uns das Ersatzrad vom Land Rover, lassen die Luft bis auf 1,4 Bar ab und schließen den Easy Bleeder am Ausgleichsbehälter des Unimog an. Kein Problem, hab ja selber erst meine eigene Kupplung am Mercedes 711 entlüftet.

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Zwar funktioniert der Easy Bleeder problemlos und nach einer Spülung der ganzen Anlage mit mindestens 2 l Bremsflüssigkeit tritt unten am Kupplungsnehmerzylinder nur noch honiggelbe, klare, blasenfreie Bremsflüssigkeit aus. Aber die Kupplung trennt immer noch nicht richtig und die Gänge gehen nicht rein. Mist, hab doch gewusst, dass wir auch den 3 m langen Kupplungsschlauch wechseln sollten. Der ist aber hier auf Athos nicht kurzfristig zu beschaffen.

Dazu hat der Unimog sicherlich immer noch Luft im fehlkonstruierten Kupplungsgeberzylinder. Muss die Entlüftung nochmal mit Pumpen versuchen. Während ich also unterm Unimog liege und die Entlüftungsschraube auf- und zudrehe, überwacht mein Vierter den Füllstand des Easy Bleeders und mein Fünfter pumpt am Kupplungspedal. Sicherheitshalber habe ich unten einen Bremsentlüftungsschlauch mit Rückschlagventil im Einsatz.

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Wieder nichts. Mit Dienst nach Vorschrift kriegen wir die Luft nicht aus dem System. Und dummerweise habe ich auch meine Druck- und Saugpistole nicht mitgenommen, denn mit der könnte ich jetzt auch mal von unten Druck aufs System geben und versuchen, die Luft nach oben rauszudrücken.

Ab jetzt kann ich also nicht mehr nach Werkstatthandbuch arbeiten, sondern muss improvisieren. Denn das Ziel unserer Aktion hier auf Athos ist ja schließlich, den Unimog so zum Laufen zu kriegen, dass er zumindest aus eigener Kraft aufs Festland in die Unimog-Werkstatt Thessaloniki fahren kann.

Improvisieren kann ich aber nur gemeinsam mit dem Besitzer, der nirgendwo zu sehen ist. Also Zwangspause. Zwar müsste auch sonst viel gemacht werden. Da aber der Wartungszustand des Unimog extrem schlecht ist, werde ich mich hüten, irgendwelche Teile anzufassen, die noch halbwegs funktionieren. Hab zwar schon prophylaktisch den Apostolischen Segen und die Freistellung von etwaigen Sünden bekommen, aber das hilft dem Unimog nicht, wenn ich irgendwas kaputtrepariere. Die To-Do-Liste für den nächsten richtigen Werkstattaufenthalt wird immer länger.

Stattdessen baue ich den Kühlschrank am Bus noch einmal aus. Hänge den zum Testen erstmal an die Steckdose. Der Kühlschrank läuft auch problemlos an und kühlt. Also ist es ein Problem mit der Gasversorgung, das sich prinzipiell lösen lässt. Zumal es hier in der Klosterwerkstatt sogar Druckluft gibt. So einen Druckluftkompressor bräuchte ich auch zu Hause, nur müsste der kleiner und vor allem leiser sein. Ich beobachte ja schon seit Februar einen kleinen „Flüsterkompressor“ aus dem Druckluftfachhandel, den es manchmal zum halben Preis als Vorführgerät gibt. Naja, jedenfalls haben wir jetzt wieder ein Loch in der Busküche.

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Leben als unechter Gastarbeiter im Kloster

Zum Glück finden es die Jungs nicht schlimm, dass wir hier sind und ich unterm Unimog liege. Und nach 2 Stunden höre ich mit den Arbeiten sowieso auf und wir gehen wieder in die Arbeiterküche. Während die Jungs Offiziersskat spielen, mache ich Mittagessen. Heute Milchreis mit Apfelmus, Zucker und Zimt. Derweil liegt das ganze Kloster immer noch wie verlassen in der Mittagshitze.

Wir fragen uns immer, was die 50 Mönche im Kloster die ganze Zeit machen. Wenn ich jedenfalls jemanden da hätte, der hobbymäßig  an meinem Fahrzeug rumfummelt, würde ich dabei sein wollen. Aber da hatte ich wohl zu idealistische Vorstellungen von der Gemeinschaftlichkeit im Kloster.

Bin ja wirklich „nur“ Gastarbeiter. Noch dazu ein unbezahlter. Da frage ich mich schon, was ich hier mache. Kann mir also auch eine gewisse Lustlosigkeit leisten und fasse den Unimog heute nicht nochmal an. Stattdessen sitzen wir 3 unechten Gastarbeiter zusammen in der kühlen Dreifachgarage, spielen Skat und warten auf Anweisungen. Das passiert also, wenn man Arbeitskräfte ohne Anweisungen, Material und Motivation allein „auf Arbeit“ zurücklässt.

Wir pflegen also ein Leben wie die Mönche, sitzen herum und machen nichts. Ist trotzdem schön und gefällt erstaunlicherweise auch den Jungs. Und ich war schon drauf und dran, die Fähre zurück aufs Festland auf einen früheren Termin umzubuchen. Aber das ist wirklich nicht notwendig.

Aber es ist sowieso schön, im Urlaub mal eine Woche an einem festen Ort zu sein. Da kann man sich in konzentrischen Kreisen langsam an die ganze Umgebung herantasten, damit auch für die nächsten Tage noch genug zu entdecken bleibt. Selbst das extra mitgeführte Minifahrrad wird nur ab und zu benutzt. Ach, das Kloster Simonos Petras können wir später immer noch besichtigen. Das steht schon 900 Jahre und wird ja wohl nicht gerade jetzt weglaufen.

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Aufstieg zum Kreuz über Simonos Petras

Gestern haben die Jungs ja schon alleine einen Aussichtspunkt über dem Kloster erkundet und führen heute mich hoch zum beleuchteten Kreuz über dem Kloster.

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Der schmale, selten begangene Weg ist wirklich hübsch.

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Dazu zeigen sie mir auch die Zisterne für das Wasserkraftwerk. Die 3 großen Dieselgeneratoren im Werkstattgebäude kennen wir ja schon. Und irgendwo oben auf dem Berg gibt es noch eine große Solaranlage. Damit im Kloster das Licht brennt, werden die Anlagen nach Verfügbarkeit aufgeschaltet. Prioritär Solarstrom, ansonsten Wasserkraft und wenn die alle ist, springen die Dieselgeneratoren an. Von hier oben sieht man gut die 3 Luft- und Abgasanlagen.

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Allerdings frage ich mich schon, woher die hohe Grundlast von 14 kW im Kloster kommt. Das sind immerhin permanent 280 Watt pro Mönch. Naja, ist nicht mein Problem. Bin ja nicht der Abt, sondern der unterste Gastarbeiter. Und wer nicht bezahlt wird, muss auch nicht nachdenken. Bin sowieso gerade abgelenkt vom Sonnenuntergang am Kreuz über dem Heiligen Kloster Simonos Petras.

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Von den Felsen am Kreuz aus jedenfalls eine schöne Aussicht zum festlich beleuchteten Berg Athos, den ich ja gern mal besteigen würde. Aber ich will es nicht übertreiben mit meinem Aktionismus.

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Ruhe und Gemächlichkeit im Kloster haben schon auch ihren Reiz. Ist wirklich schön, wie sich die von hier oben kleinen Gebäude um die winzige Basilika in der Mitte kuscheln. Auf dem Felsen von Simon ist halt nicht viel Platz.

Arbeiten und Leben als Gastarbeiter auf Athos

Vom Leben echter Gastarbeiter

Auf Athos ist es wirklich schön. Die Mönche sind zwar auch da, stören aber nicht weiter. Wenn man allerdings mal einen Mönch sieht und mit ihm redet, kommt man kaum wieder los. Die sind alle super nett und super interessiert an allem, was draußen passiert. Allerdings ist dieser Informationsfluss recht einseitig. Und ich kann sowieso nicht stundenlang quatschen, sondern muss mich um meine Jungs kümmern. Auch wenn die natürlich ihre Spiegeleier selber hinkriegen.

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Jetzt sehen wir auch mal die echten Gastarbeiter, ohne die im Kloster wirklich nichts läuft und die sich nach ihrem geschätzten 16-Stunden-Tag freuen, dass ich gestern auch ihr Geschirr mit abgewaschen habe und die Küche nun sauber ist.

Das Eis jedenfalls ist durch diese Aktion geschmolzen und sie erzählen mir detailreich, dass und wie sie den ersten Küchengroßputz schon bei ihrer Ankunft gemacht haben, um ihre Unterkünfte überhaupt bewohnbar zu machen. Zumal diese Gastarbeiter ja nur mit einem kleinen Bündel kommen.

Auch wenn es im tollen Film über Athos anders aussieht, lebt Athos von einer Menge von Gastarbeitern. Holzarbeit, Straßenbau, Objektreinigung, Handwerkerleistungen und auch die Devotionalenherstellung laufen nur mit Gastarbeitern, die hier wochenlang getrennt von ihren Familien arbeiten müssen.

Also ich bin ja freiwillig und dann auch noch zumindest mit einem Teil meiner Familie hier und kann mich nicht beschweren. Aber wenn ich die Arbeitsbedingungen der Nicht-EU-Gastarbeiter auf Athos sehe, könnte ich direkt einen Arbeitskampf anzetteln. Hoffe nur, dass die guten Leute wenigstens vernünftig bezahlt und nicht nur mit ein paar Euro oder dem apostolischen Segen abgespeist werden. Habe aber zugleich auch schlechtes Gewissen, denn ich bin es, der hier als Regelbrecher umsonst arbeitet, nur weil ich es mir leisten kann.

Aber irgendwie verpufft die revolutionäre Aufbruchstimmung angesichts der abendlichen Idylle am Kloster. Und schon hoffe ich wieder, dass ich morgen endlich das Problem mit der Kupplung hinkriege. Ziehe sogar überobligatorisch und kompetenzüberschreitend meinen Telefonjoker sowie das Unimog-Forum in die Sache rein. Und das alles nur, damit die Mönche unbehelligt und ungestört ihrer höheren Beschäftigung nachgehen können.

Arbeiten und Leben als Gastarbeiter auf Athos

Schlusswort als Athos-Gastarbeiter

Ich habe nichts gegen gemeinnützige Tätigkeiten wie hier fürs Kloster. Wenn einem Gastarbeiter auf Athos als Lohn ein gutes Gefühl oder das Privileg persönlicher Anwesenheit ausreicht, dann ist doch alles gut.

Und die echten Gastarbeiter auf Athos werden sicherlich so bezahlt, dass sie freiwillig hier sind und ihre Familien ernähren können. Genau weiß ich das nicht, da wollte ich niemandem zu nahe treten.

Vielleicht ist das Prinzip der Gastarbeiter auf Athos ja auch sowas wie Work and Travel. Quasi Arbeit gegen Kost und Logis. Da bringe ich dann auch noch mein eigenes Werkzeug gerne mit, wenn die Klosterwerkstatt ist zwar ganz gut ausgestattet, aber das wichtigste Werkzeug fehlt halt.

  • Bremsenschlüssel (BGS 1745): Klick
  • Easy-Bleeder als Druckentlüftungsgerät (Korrosionsschutz-Depot): Klick
  • Bremsentlüftungsschlauch mit Rückschlagventil (BGS 8897): Klick
  • Hätte ich mal nur die Vakuum-Saugpistole mitgenommen (BGS 8067): Klick
  • Mein Wunsch-Flüsterkompressor aus dem Druckluftfachhandel: Klick

Morgen werden wir sicherlich noch bisschen am Unimog basteln, aber dann wandern wir ein Stück zum Nachbarkloster auf Athos. 

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5 Antworten

  1. Frank sagt:

    Hört sich spannend an, Tom.
    Ich hatte gedacht, du wolltest einem Kumpel aus der Patsche helfen. Nun stellt sich mir die Frage: Was hat dich nach Athos gezogen?
    Zusätzlich frage ich mich seit Beginn dieses Berichtes welche Visa du beantragt hast.
    Eine gute Zeit und viele Grüße! Frank

  2. Anonymous sagt:

    Hallo Tom, klasse Reisebericht, und Mutige und sehr ungewöhnliche und pfiffige Methode als Gastarbeiter nach Athos zu kommen.
    Kleine Anmerkung zur Wunschwerkzeug Kompressor. Hab mir auch so einen Flüsterkompressor zugelegt – 850W /30l und das ist ein klasse Teil, das ich nicht missen möchte. Würde mir aber nach einigen Erfahrungen heute auf jeden Fall einen kaufen, der eine Nummer größer ist 1550W/45l – das ist das untere Minimum wenn man mal was spritzen oder Sandstrahlen will. Dem Kleinen geht da zu schnell die Vorratskammer aus. Grüße Haubidü

    • Tom sagt:

      Hmm, irgendwann bin ich mit dem Kompressor auch mal arbeiten und habe jetzt wirklich schon auf Bestellen gedrückt. Aber der hat zwei Zylinder und 1500 Watt. Hoffe, dass ich damit hinkomme. Aber klar, es gibt immer was besseres.

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