Estland: Begeisterung in der Ordensburg Rakvere
Die Ordensburg Rakvere im nordöstlichen Estland zeigt, wie einfach es ist, ein Kinder (und Väter) begeisterndes Museumsangebot auf die Beine zu stellen.
Ein falscher erster Eindruck von der Ordensburg Rakvere
Vom Kunstmuseum Viinistra weiter nach Rakvere. Die Ordensburg Rakvere besichtigen. Hab ja am Strand schon ordentlich alles auswendig gelernt. Endlich mal ein bisschen Geschichte.War mir ganz neu, dass auch die Dänen hier oben bei der vermeintlich leichten Landnahme mitmischen wollten. Und so war die Burg abwechselnd in dänischer, ordensdeutscher, schwedischer und russischer Hand. Aber dennoch. Im Reiseführer wird diese Ruine als Ordensburg Rakvere beschrieben.
Ob sich das lohnt? Sind doch nur ein paar halbzerstörte Mauern. Da drin gibt es doch sowieso nichts zu sehen. Burgruine halt. Normalerweise ist man da in einer halben Stunde durch. Soll ich mal schnell mit den Jungs hochgehen, während das Mittagessen kocht? Ach nein, lieber nicht. Zusammen kochen, zusammen essen, zusammen gehen.
Museumspädagogischer Glücksgriff Ordensburg Rakvere
Gott sei Dank. Denn die Ordensburg Rakvere ist ein Glücksgriff. In museumspädagogischer wie familiärer Sicht. Das wird mir schon am Eingang klar. An der großen Weltkarte, in die alle Besucher an ihrem Herkunftsort einen Nagel einschlagen können. Coole Idee.
Und gleich neben dem Burgtor stehen die ersten Spielzeuge. Um Gottes Willen. Richtige, unabgerundete Lanzen. Zur freien Verfügung der Kinder. Wirklich? Darf man das? Ja, scheinbar. Die Jungs machen regen Gebrauch von den Dingern. Sorge nur dafür, dass es keine Verletzten gibt.
Ein paar Knappen zeigen, wie’s geht und unterhalten nebenbei die Besucher.
Tjosten auf der Ordensburg Rakvere
Alleine das Tjosten aka Lanzenstechen bindet unserer Aufmerksamkeit für fast eine Stunde. Dabei ist es so einfach: Holzpferde auf Rollen. Lanzen mit Schaumgummipolster. Kinder als Ritter. Eltern als Antrieb.
Die alte Ordensburg Rakvere wird wieder zum Leben erweckt. Kanonen und Musketen. Schwerter und Degen. Lanzen und Helme. Alles wird angefasst und ausprobiert.
Und damit die mittelalterliche Idylle perfekt ist, watscheln und schnattern die Gänse zwischen den Besuchern herum.
Schwarzpulver herstellen und ausprobieren in der Ordensburg Rakvere
Alle männlichen Familienmitglieder sind schwer begeistert. Schleichen durch die Kammern. Ich laufe an einer irgendwie mit Alchemie beschrifteten Tür vorbei und höre nur Salpeter. Der Rest ist estnisch. Aber da klingelt es. Die werden doch nicht etwa Schwarzpulver herstellen? Also schnell die Jungs geholt. Und tatsächlich mischt da drin ein Museumspädagoge oder wie das heißt Schwarzpulver zusammen. Streut es draußen in den Burghof und zündet es an. Füllt eine kleine Kanone oder eher ein Kanönchen mit Schwarzpulver und zwei Taschentüchern. Und zündet das Ding. Alle halten sich die Ohren zu. Ein kaum hörbarer Puff. Lachen. Wirklich gut gemacht.
Dann schießen sie auch noch eine große Kanone ab. Die knallt nun aber richtig. Dann wieder marschieren die Knappen mit ihren Lanzen und Musketen über den Burghof und treiben ihre Späße.
Bogenschießen ist auch noch. Meine Kinder treffen besser als ich. Sowas peinliches. Also für Unterhaltung ist auf der Ordensburg Rakvere gesorgt. Aber auch für Bildung. Denn überall stehen Tafeln mit Erklärungen und alten Landkarten.
Der Folterkeller der Ordensburg Rakvere
Finde jetzt auch das Tagesprogramm. Gibt hier mehr Angebote als Besucher. Also noch eine Führung durch die Folterkammer. Natürlich auf estnisch. Wir können doch nicht auf die englische Führung warten. Das meiste erklärt sich ja sowieso von selbst.
Werden anschließend alleine in völlig dunkle Kellerräume geschickt. Huhu, eine Geisterbahn. Zum Durchlaufen. Habe zum Glück schon ein bisschen Übung im blinden Herumstolpern. Musste schließlich gestern das am Strand gebuddelte Labyrinth mit geschlossenen Augen absolvieren.
Wabbeliger Fußboden. Glitschige Wände. Herabhängende Spinnennetze. Hier wird alles geboten. Und zwar ohne Taschenlampe. Muss mir schon Gemecker anhören, weil ich mit dem Handy herumfummele. Aber irgendjemand muss doch Fotos machen für die Familienchronik. Und für die Draußengebliebenen.
Rittersaal der Ordensburg Rakvere
Aber es kommt noch besser. Im Obergeschoss eine kleine, friedliche Kapelle.
Doch dann der Rittersaal. Alles voller Schwerter und Helme. Habe nur ein Foto von der friedlichen Ausgangssituation. War zu sehr damit beschäftigt, das Schlimmste zu verhindern. Zumal hier an Schwertern alles vertreten ist. Römisch, mongolisch, türkisch. Einhänder, Zweihänder, Kurzschwerter. Degen, Säbel und Schwerter. Alles dabei. Manche Waffen so schwer, dass sie mein Jüngster kaum halten kann.
Ja, was soll ich sagen. Die Burgbesichtigung dauert schon 4 Stunden. Und wir sind immer noch nicht durch. Haben immer noch nicht alle Spiele zu Ende gespielt. Könnten immer noch länger hier bleiben. Habe noch nicht mal alle Tafeln durchgelesen. Genau genommen überhaupt noch gar keine. Keine Zeit. Mache immer nur schnell ein Foto, damit ich das später alles durchlesen kann. Wenn die Kinder mal groß sind.
Aber in der Familie gibt es ja nicht nur Jungs. Also Schluss jetzt.
Jedenfalls selten so ein gutes Museum wie die Ordensburg Rakvere gesehen. Da können die Esten wirklich stolz sein. Anschließend, auf dem Parkplatz, spricht uns noch ein Este an. War Fernfahrer und will sein Deutsch ein wenig an den Mann bringen. Und so unterhalten wir uns über Mercedes, Deutschland und das estnische Wetter. Irgendwann lässt er uns gehen und wir fahren weiter nach Süden. Zum Peipussee.
Weitere Infos zur Ordensburg Rakvere
- Webseite der Ordensburg Rakvere auf Englisch: Klick
- Wir haben für das Familienticket 18 € bezahlt.
- Geschichte der Ordensburg Rakvere: Wiki
- Infos zum historischen Lanzenstechen (Tjosten) als Sport: Wiki
- Der Tipp zur Ordensburg Rakvere stammt aus dem auch sonst empfehlenswerten Reiseführer für das ganze Baltikum aus dem Reise-Know-How-Verlag
Hallo Tom und Familie!
Wir waren zu Sommeranfang auf der beschriebenen Burg und ich kann das nur bestätigen, was du schreibst. Auch sonst ein toller Reisebericht. Obwohl wir schon dort waren, macht es Spaß zu lesen.
Viele Grüße von Marco und Familie
🙂 🙂