Tunesien: Rettung aus dem Canyon

Bericht von meiner Rettung aus der Mides-Schlucht und der medizinischen Versorgung in Tunesien an Tag 1 meines neuen Lebens.

Wieder bei Bewusstsein

10:00 Uhr mache ich das letzte Foto, dann stürze ich 8 m runter in den Midès-Canyon und alles wird schwarz. 10:10 Uhr sind meine Systeme zumindest soweit hochgefahren, dass ich nicht mehr im kalten, nassen Sand liege, sondern mich in die Sonne stellen kann. Denn Kälteschlottern ist schlimmer als Schmerz. Nur die Augen kriege ich noch nicht auf.

10 Minuten nach dem Sturz in den Mides-Canyon

10 Minuten nach dem Sturz in den Mides-Canyon

Erstversorgung und Bergung

Mein Vierter hat sich inzwischen zu mir runterrutschen lassen, obwohl er noch nicht weiß, wie er aus diesem Loch wieder rauskommt. Ist ja wirklich das letzte Ende der Schluchten von Midès. Naja, besser der Anfang. Wie man’s nimmt. Aber man kommt aufgrund der Felsstufen ohne Seil weder nach unten noch nach oben aus diesem Loch raus.

Als erstes gibt er mir seinen warmen Pullover, weil ich in meinem nassen, dünnen T-Shirt vor Kälte zittere. Dann kriege ich eine Erstversorgung der Platzwunden. Hab ja immer meinen Ortlieb-Rucksack mit Kleinkram und Erste-Hilfe Päckchen dabei. Bin das als Vater eben noch so gewohnt, obwohl ich gar keine kleinen Kinder mehr habe, die ständig Unfälle haben. Jetzt bin ich dran.

Langsam kommt auch das Bewusstsein wieder und ich bremse meine Söhne, die schon die Telefonnummer des tunesischen Rettungsdienstes googeln. Ich habe ja nicht mal einen offenen Bruch und dass alles weh tut, ist ja normal bei solchen Experimenten. Gleich setzt also die Selbstüberschätzung ein und ich schicke stattdessen meinen Fünften los, um das 9 m lange Kinetikseil von Trekfinder und ein paar Spannbänder aus dem Wohnmobil zu holen, damit wir uns wie gewohnt selber helfen.

Weiß im Nachhinein gar nicht, wie er an den Busschlüssel gekommen ist. Wahrscheinlich hat den mein Vierter aus der Schlucht hochgeworfen. Jedenfalls fehlt mir da echt ein bisschen vom Film, aber die Jungs handeln sehr schnell und umsichtig. Also echt vielen Dank euch beiden. Und sorry für mein Versagen und den Schock.

10:55 Uhr ist mein Fünfter wieder zurück und bringt neben Bergeseil, Spannbändern und weiterem Verbandsmaterial gleich ein paar Helfer mit, also alles ganz allein ganz genau richtig gemacht. Auch der Chef vom Stellplatz ist dabei, der gleich noch die Nationalgarde aktiviert hat.

Das Kinetikseil ist zwar nicht für die Personen-, sondern mit 10 t Bruchlast für die Busbergung gedacht, aber sowas braucht man eben. Und auch die Länge des Seils reicht mit 9 m gerade so runter auf den Grund der Schlucht. Für solche Momente lohnt sich der Aufwand, Bergungs- und Rettungsmittel jahrelang spazieren zu fahren. Weiß noch, wie ich erst nur das 6-m-Bergeseil nehmen wollte. Aber das hätte ein paar Meter über dem Grund der Schlucht gebaumelt.

Bergung aus dem Mides-Canyon

Bergung aus dem Mides-Canyon

Jedenfalls baut mein Vierter so eine Art Klettergurt und fixiert mich mit den Spannbändern am Seil. Da vor allem der linke Fuß und der rechte Arm halb tot sind, brauche ich noch etwas Zeit. Aber ich darf auch nicht zu lange warten, denn wer weiß, ob ich mich noch auf den Beinen halten kann, wenn das Adrenalin nachlässt.

Dann stemme ich mich gegen die Felswand und werde von meinem Fünften und den Tunesiern Schritt für Schritt hochgezogen. Anschließend ist mein Vierter dran. Also ohne meine Söhne und das lange Seil wäre ich aus der Schlucht nur mit einem Kran wieder rausgekommen.

Krankenhausversorgung in Tunesien

Gerade als ich wieder oben bin, kommt der Chef der Nationalgarde von Touzeur und fährt uns mit seinem Toyota Land Cruiser die 7 km zur Krankenstation nach Tamerza. Dort werden um 11:20 Uhr erstmal die schlimmsten Stellen geröntgt, also das rechte Hand- und das linke Sprunggelenk. Da fragt auch keiner nach einer Versicherung oder Kostenübernahmeerklärung oder sowas. Nur das Röntgen kostet extra. Drücke also irgendjemandem Geld in die Hand und los geht’s.

Krankenhausversorgung in Tunesien

Krankenhausversorgung in Tunesien

Beides sind Frakturen und ich muss 70 km ins Krankenhaus Tozeur. Bezahle also nochmal für den Krankenwagen hin und zurück und schicke die Jungs mit einem englischsprachigen Führer aus Mides zurück zum Bus. Dieser Mohammed will zwar eigentlich mit mir nach Tozeur kommen, um dort alles etwas zu beschleunigen. Aber das wird nicht umsonst sein und verständlich machen kann ich mich schon selbst.

Da der Krankenwagen sowieso nur einen zusätzlichen Sitzplatz hat, soll er mal lieber die Jungs mit dem Taxi zurück nach Midès bringen. Das würden die zwar auch alleine hinkriegen, aber so bin ich den Führer los und halte die Rettungskosten unter Kontrolle. Drücke also meinen Jungs Geld für Taxi und Begleitung in die Hand und vertraue mich um 12:25 Uhr dem Krankenwagen an.

Krankentransport in Tunesien

Krankentransport in Tunesien

13:25 Uhr bin ich in Touzeur und werde dank Ausländerbonus quasi sofort versorgt. Mache ja immer mal ein Foto, damit ich das nachvollziehen kann. Nach 5 Minuten Wartezeit will mir eine junge Ärztin Schmerzmittel geben. Da kann ich natürlich nicht ja sagen und so fängt sie mit einer Schwester an, die gebrochene Hand sowie den Fuß mit ziemlichem Druck wieder in die richtige Lage zu bringen und einzugipsen. Ich ärgere mich kurz, dass ich nichts gegen die Schmerzen genommen habe, aber ich vermeide gern Spritzen und invasive Sachen in unbekanntem Umfeld.

Krankentransport in Tunesien

Krankentransport in Tunesien

Kriege neben guten Wünschen und einem Termin für ein zweites Rendezvous in 15 Tagen ein handschriftliches Rezept auf einem kleinen Zettel, mit dem ein nicht zum Krankenhaus gehörender Tunesier für mich in die Apotheke geht. Er kommt nach einer Weile wieder und sagt mir, dass ein Zweierpack Thrombosespritzen 18 Dinar und 700 Centimes kostet. Ich verstehe aber, dass ich für 18 Spritzen 700 Dinar (also 230 €) bezahlen soll. Puh, so viel Bargeld habe ich gar nicht mehr. Bemerke dann allerdings meinen Irrtum, weil die Tunesier Centimes ja immer in Hundertern angeben.

Ist schon super. Man drückt im tunesischen Krankenhaus einem wildfremden Menschen Geld und einen Zettel in die Hand und der kommt irgendwann mit Medikamenten und Wechselgeld wieder. Dieser Kontrollverlust ist zwar sonst nicht so meine Art, aber es bleibt mir nichts anderes übrig, denn laufen kann ich nicht mehr.

Einschließlich dieser Zeremonie bin ich nach nur 40 Minuten im tunesischen Krankenhaus fertig und liege um 14:10 Uhr schon wieder im Krankenwagen, der im Krankenhaus Touzeur auf mich gewartet hat. Also von der Geschwindigkeit her kann sich das deutsche Gesundheitswesen eine dicke Scheibe von den tunesischen Krankenhäusern abschneiden.

15:20 Uhr bin ich zurück in Tamerza. Die rufen den Chef der Nationalgarde an, der mich wieder persönlich mit seinem Land Cruiser zurück nach Midès fährt.

Das Hauptproblem

Exakt 16:00 Uhr und damit genau 6 Stunden nach meinem Unfall bin ich dick eingegipst und mit den passenden Medikamenten versehen zurück am Bus und könnte glücklich über meine Rettung sein. Aber jetzt wird es erst richtig unangenehm, denn ich muss der Familie von meiner Dummheit berichten. Dazu schicke ich meinem Buddy die Röntgenbilder, die meine Jungs vorher gegen den tunesischen Himmel abfotografiert haben.

Tja, und da sitze ich nun und versuche, meine verbliebenen Knochen sowie etwas Haltung zu bewahren und denke über meine künftigen Pläne nach. Wird eine Weile dauern, bis ich auch links wieder einen meiner geliebten Falke Wanderstrümpfe tragen und wieder mal ein paar Schritte selbstständig gehen kann.

Im Rollstuhl ohne Rollen

Im Rollstuhl ohne Rollen

Auch sonst ist jetzt alles anders. Nix mehr mit Wüste, nix mehr mit den ganzen Attraktionen im Süden Tunesiens oder meinen Experimenten mit Einzelbereifung fürs Sandcruisen. Dabei habe ich extra einen Umbauset für die Radmuttern auf Heico Safety Lock dabei. Aber auch wenn nun alle Vorbereitungen für die Wüstenpisten umsonst waren, bleiben die Jungs entspannt und stellen fest, dass wir dann eben einfach später nochmal herkommen müssen.

Dazu stehen wir auch gut und der Betreiber Salah sorgt sich um uns, als ob davon das Überleben der tunesischen Nation abhängt. Am liebsten würde er uns mit seinem Restaurant komplett verpflegen, aber da habe ich schlechtes Gewissen, weil er kategorisch jegliche Vergütung ablehnt. Und im Wohnmobil gibt es ja alles, was wir brauchen.

Dennoch ist es immer eine Gratwanderung zwischen den Regeln der Gastfreundschaft und dem Schutz des Gastgebers. Ich kann zwar höflich bremsen, aber einen dargereichten Berbertee auf gar keinen Fall ablehnen.

Berbertee vom Mides Family Resto

Berbertee vom Mides Family Resto

Mittlerweile ist auch die Zweitdiagnose da und die Bestätigung, dass ich wohl nicht operiert werden muss und die Tunesier alles richtig gemacht haben. Hauptproblem ist also nunmehr, wie ich mit einer Hand Skat spielen kann. Aber mit einer kleinen Halterung für die Karten geht das schon. Denn was muss, das muss.

Versehrtensport im Wohnmobil

Versehrtensport im Wohnmobil

23 Uhr bauen mir die Jungs die Sitzgruppe zu einer schönen Schlafstätte um. Über den Rest und insbesondere die Frage, wie wir nach meinem Sturz in den Canyon hier wieder wegkommen, denke ich noch nicht nach.

Danksagung

Wie ich so im Bett liege und mich jede Bewegung schmerzt, realisiere ich, wie viel Glück ich bei dem 8-m-Sturz eigentlich hatte. Da hat mir doch wirklich der liebe Gott eine Schaufel Sand unter den Kiel geschmissen.

Dazu haben meine Jungs trotz des Schocks klaren Kopf behalten, vollkommen richtig gehandelt und mich perfekt erstversorgt. Also tausend Dank euch beiden. Und nochmal sorry für meinen Leichtsinn.

Ich danke auch Ortlieb für den Velocity, der mir vollgestopft mit Kleinkram wahrscheinlich den Rücken gerettet hat (und dabei bis auf die Schlammkruste völlig unversehrt geblieben ist).

Ich danke den tunesischen Helfern aus der Bergoase Midès, die alles haben stehen und liegen lassen, um mir zu helfen, sowie dem Chef der Nationalgarde Touzeur, der mich persönlich ins Krankenhaus gefahren (und auch später nie aus den Augen gelassen) hat.

Ich danke dem Klinikpersonal von Tamerza, den helfenden Dritten und der Ärztin aus Tozeur, die meine lädierten Gliedmaßen mit schmerzhaften, aber gekonnten Griffen wieder so ausgerichtet und eingegipst hat, dass ich keine Operation brauche.

Ich danke dem Betreiber des Midès Family Resto, der die Meldekette in Gang gesetzt, im Hintergrund die Fäden gezogen und uns auch nach dem Unfall die ganze Zeit versorgt hat, ohne dafür auch nur einen Cent von mir anzunehmen. Wer auf Instagram ist, kann ja mal bei Salah und seinem Familienrestaurant vorbeischauen und ihm und seiner Frau Zarah ein Herzchen da lassen. Gibt da übrigens auch interessante Drohnenaufnahmen von den Schluchten.

Und last but not least danke ich allen, die mich sonst so unterstützen. Auch die mit den Spenden übermittelten privaten Nachrichten freuen mich sehr, bauen auf, helfen über eine einkommenslose Zeit und beweisen, dass das alte Internet keine Sackgasse sein muss.

Wer mir also mit einer kleinen Spende eine Freude machen will, kann das hier gern tun:

https://www.paypal.me/7globetrotters

Vielen Dank!

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6 Antworten

  1. Christian sagt:

    Hallo Tom,
    habe über die Busfreaks vom Unfall erfahren und dachte erst, dass du hier gar nichts davon erzählen möchtest. Was für ein Alptraum, hätte wirklich euer letztes gemeinsames Abenteuer werden können. Absolut klasse, wie die inzwischen großen Jungs reagiert haben – Familie ist und bleibt das Wichtigste im Leben. Bin auch sehr beeindruckt von der professionellen Hilfe der tunesischen Menschen, die scheinen ja einen wirklich tollen Job gemacht zu haben. Die Reposition deiner Brüche ohne Analgetika – da möchte ich nicht weiter drüber nachdenken…
    Hoffe, dass deine Genesung gute Fortschritte macht. Dein Blog ist eine überaus soziale Sache – du hast vielen Menschen mit der kostenlosen Bereitstellung deiner Erfahrungen, Reparaturen und Daten sehr geholfen. Von den einzigartigen Reiseberichten ganz abgesehen. Hier gibt es klare Kompetenz, Freundlichkeit und Humor – und das alles völlig umsonst!
    Deshalb hoffe ich, dass dich viele Menschen in dieser blöden Situation mit einer kleinen Spende unterstützen. Und du nach deiner Gesundung genau so weitermachst.

    Lieber Gruß von der Ostalb

    Christian

    • Tom sagt:

      Analgetika musste ich erstmal googeln. Aber Schmerzmittel ändern ja nichts an der Sache, man merkt halt nur nichts mehr. Doch letztlich war der Verzicht nur Angeberei und Unkenntnis, was die Ärztin wirklich vorhatte. Und wenn ich einmal eine Sache anfange, kannn ich nicht einfach mittendrin aufhören. Ist ja wie mit der Webseite hier. Da hab ich auch lange mit mir gerungen, nach Unterstützung zu fragen.

      Also vielen Dank auch dir, Christian.

  2. Jürgen sagt:

    Schön, dass es glimpflich ausgegangen ist (auch, wenn es sich zuesrt anders anfühlt) und du die Dankbarkeit ausdrückst.

    Gruß Jürgen (bele bei den busfreaks)

  3. Erich sagt:

    Da hattest Du einen wachen Schutzengel oder derer zwei …
    Gebrochenes re. Handgelenk, dat is nich lustich …
    Laboriere ich jetzt seit knapp nem Jahr dran.
    Zwar nur von der Ladekante gestürzt …
    Würde ich nicht auf die leichte Schulter nehmen.
    Gute Besserung

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