Tunesische Gastfreundschaft
Mit einem autarken Wohnmobil können wir uns zwar selbst versorgen, aber die tunesische Gastfreundschaft ist unerbittlich.
Wie kommen wir nach Hause?
Nach meiner gestrigen Rettung aus dem Canyon und der Versorgung im tunesischen Krankenhaus war die Nacht mit Arm und Bein in Gips im Prinzip nicht schlecht, nur so um 3 Uhr lag ich eine halbe Stunde wach. Ist halt doof, wenn man immer auf dem Rücken in einer Zwangslage schlafen muss. Aber schlimmer ist der Ärger über die Dummheit meines Sprungs in die Schlucht.
Jetzt stellt sich nur die Frage, wie wir wieder nach Hause kommen. Erstmal, und darauf bestehen meine Jungs, werde ich keinen Blödsinn machen und mindestens noch zwei Tage hier bleiben. Der Restaurantchef hat auch schon bei der Nationalgarde nachgefragt und die würden sogar einen Fahrer stellen und uns fahren, wohin wir wollen. Doch da ich mit fremder Hilfe immer so meine Probleme habe, ist mein Plan eigentlich, selbst zu fahren. Wenn mein Beifahrer schaltet, müsste das gehen. Aber wie gesagt, erstmal bleiben wir zwei Tage hier, damit die lädierten Knochen in Ruhe wieder zusammenfinden können.
Der beste Stellplatz an den tunesischen Bergoasen
Gott sei Dank stehen wir perfekt. Das hier ist in unserer Situation wahrscheinlich der beste Stellplatz in den ganzen tunesischen Bergoasen, weil wir hier unsere absolute Ruhe haben. Denn für die zahlreichen, immer ein bisschen nervigen Führer in und um die Schluchten von Mides ist dieser Platz tabu. Und die Nationalgarde ist natürlich auch damit zufrieden, dass wir hier schön sicher und in unmittelbarer Nähe der algerischen Grenze nicht irgendwo versteckt stehen.
Ansonsten zeigt sich wieder einmal, wie gut ein auch spontan autarkes Wohnmobil ist. Die Leute hier wundern sich schon, warum wir nichts brauchen und nur im Bus hängen. Aber klar, wir haben Essen, wir haben Wasser und wir haben eine Toilette für mindestens eine Woche. Und dank der Solaranlage auf dem Aufstelldach haben wir mehr als genug Strom.
Nun steht das Wohnmobil zwar nicht optimal zur Sonne, aber 250 Watt Leistung liegen am 420-Watt-Modul (Euronergy EUQJH57J420) dennoch permanent an. Hab echt keine Ahnung, wie wir den Strom verbrauchen sollen und lasse schon den elektrischen Heizlüfter laufen. Ist nämlich bisschen kühl heute. Erst recht, wenn ich die ganze Zeit nur dasitze. Schaffe es ja allein noch nicht mal aus dem Bus raus.
Und so fehlt mir vor allem ein bisschen Beschäftigung. Den Tunesien-Reiseführer und sämtliche Wikipedia-Artikel in der Nähe habe ich schon durch. Chronik ist auch diktiert. Also sitze ich nur da, konzentriere mich auf meine Blitzheilung und schicke die Jungs für alles mögliche in der Gegend herum. Besonders knifflig ist ein Foto vom Restaurantdach mit dem Bus und der Oase im Hintergrund. Da muss man sich nämlich erst mal verständlich machen.
Die beiden sind jedenfalls schon ganz genervt von meinen ständigen Ideen, machen aber die gewünschten Fotos, laufen als Boten hin und her und waschen in einer Eurokiste meine vom gestrigen Sturz in den Canyon total verdreckte Hose. Das ist schließlich die einzige Hose, die ich über den Gipsfuß kriege. Den Pullover meines Vierten aber kann ich nur noch mit der Schere über den Gipsarm ziehen.
Aufmerksame Versorgung vom Mides Family Resto
Gerade als die Jungs (von ganz alleine) mit dem Mittagessen anfangen, kriegen wir Reis mit gebackenem Blumenkohl vom Restaurant gereicht. Natürlich ohne dass jemand was bestellt hätte. Aber eine Ablehnung des Essens wäre genauso eine Beleidigung für den Chef, wie wenn ich dafür bezahlen würde. Und es ist schon lecker. Liebevoll zubereitete tunesische Küche eben.
Der Chef und ich, wir nennen uns jetzt schon beim Vornamen. Und dass ich ziemlich viel Vertrauen genieße, zeigt sich, als Salah an seinem Moped schrauben muss und eine 8er Nuss braucht. Da kann ich mich endlich auch mal nützlich machen. Und auch wenn ich mich nicht an der Reparatur des Mopeds beteilige, kann ich wenigstens meine Freude über meine handschmeichlerische kleine Ratsche teilen. Ist ja auch schön.
[Normalerweise stünde hier jetzt ein Link, aber die schönste aller Viertelzollratschen (BGS 2242) gibt’s leider nicht mehr.]
Es ist jedenfalls, als ob wir zur Familie gehören. Aber da ich mich noch nicht mal an der Reparatur des Mopeds beteiligen kann, bleibt mir nur, hier mit der Visitenkarte vom Mides Family Resto ein bisschen Werbung zu machen. Wie gesagt, eigentlich ist das kleine Projekt von Salah und seiner Frau Zarah primär ein Familienrestaurant mit geschütztem Parkplatz direkt über der Berggoase und den Schluchten von Mides, kein gewöhnlicher Campingplatz.
Tunesische Gastfreundschaft
Trotz der ganzen Misere und obwohl es heute untunesisch kühl und bewölkt ist, gefällt es auch den Jungs hier auf diesem tunesisch gastfreundlichen Stellplatz. Ich bin sowieso zufrieden, weil ich zumindest selbstständig auf Toilette hangeln, einhändig essen und mit meinen Jungs Skat spielen kann. Und so will ich mich nicht beschweren, dass der Höhepunkt des Tages aus der Thrombosespritze besteht.
Am Nachmittag kommt Salah vorbei, setzt sich bei uns in den Bus und wir unterhalten uns ein wenig. Erst auf Französisch, dann auch mit dem Übersetzer. Es geht um die Palmen in seinem Garten, wie lange die brauchen und dass die eventuell auch bei uns wachsen. Was wir so im Garten für Bäume haben und so weiter.
Er nimmt auch Toffifee, nachdem ich versichert habe, dass da kein Alkohol drin ist. Nebenbei kochen die Jungs Bratkartoffeln und zeigen damit, wie wir ausgestattet sind und was wir für Vorräte dabei haben. Sonst kommt der Chef hier noch um vor Sorge, dass wir verhungern und er seine Gäste nicht gemäß den ehernen Regeln der tunesischen Gastfreundschaft versorgt hat.
Anstrengendes Nichtstun
Nach dem Abendessen spielen wir wie gewohnt Skat. Mein Vierter gewinnt nicht nur 7 Spiele hintereinander, sondern ist auch der erste über 1000 Punkten, und das in recht kurzer Zeit von nur 55 Spielen. Vor lauter Langeweile hab ich unserer ewigen Skatliste heute einige Statistik-Tools hinzugefügt, die nun von den Brüdern sehr interessiert ausgewertet werden. Vor allem sicherlich deswegen, weil ich in fast jeder Kategorie das Schlusslicht bin. Das kann natürlich an gewissen kognitiven Einschränkungen liegen. Aber was soll ich mit solchen Blättern auch spielen. Da würde ich selbst ein Ramsch verlieren.
Während ich schon im Bett liege, telefonieren wir reihum mit der ganzen Familie. Dann diktiere ich noch kurz die Chronik und schließlich fallen mir schon 21:15 Uhr die Augen zu. Nichts tun (können) ist eben ganz schön anstrengend. Dabei steht mir das eigentliche Problem der Rückreise ja noch bevor.
❤️ Vielen Dank!
Es ist wirklich ein Glück, dass mein Unglück genau hier am besten Stellplatz in den tunesischen Bergoasen passiert ist. Insofern möchte ich noch einmal Salah und seiner Frau Zarah vom Mides Family Resto für ihre hingebungsvolle tunesische Gastfreundschaft danken. Gerade mir, der sich sonst nur sehr ungern helfen lässt, hat dies viel gelehrt.
Aber auch den hiesigen Unterstützern möchte ich nicht nur für ihre Spende, sondern auch für die aufbauenden Nachrichten danken, die mich mittlerweile gern in mein Postfach sehen lassen. Auch das macht was mit mir.
Also euch allen nochmal vielen Dank!
Hallo Tom,
ich kenne diese Abneigung, sich helfen zu lassen, sehr gut. Bin gewohnt, alles selber geregelt zu bekommen – nur bei meiner Frau empfinde ich das als selbstverständlich (ist es natürlich gar nicht, ohne Nadja wäre ich aufgeschmissen…), ich möchte keinen Menschen um etwas bitten und fühle mich beschämt, wenn ein Mensch aus eigenem Antrieb etwas für mich tut.
Vermutlich ist das ein Stolz, der an Dummheit grenzt. Im Gegenzug neige ich dazu, Menschen zu helfen. Für mich eine Selbstverständlichkeit, da erwarte ich auch keine große Dankbarkeit. Vermutlich stärkt es das Ego, so zu handeln und zu empfinden.
Bis man dann wirklich mal in der Patsche sitzt.
Auf der ganzen Welt gibt es großartige Menschen. Und es ist ein echtes Glück, solche Menschen in so einer kritischen Situation zu treffen.
Der Tom würde im Notfall natürlich sofort helfen. Und (im Normalfall…) auch keine Rechnung schreiben. Ehre, Stolz und Menschlichkeit sind gute Eigenschaften. Man muss manchmal aber auch akzeptieren, dass man solche Eigenschaften nicht für sich
gepachtet hat.
So sehe ich das auch. Sich helfen zu lassen, bedarf auch viel Vertrauen. Und umgekehrt entstehen aus solchen Sachen die besten Erfahrungen.
Hallo Tom,
ich wünsche Dir baldige Genesung auf 50% und dann viel Ausdauer um auf 100% zu kommen. So scheint es bei Hand und Fuß Frakturen zu sein…
Leider bin ich nicht im Norden von Afrika, sonst würde ich Dir anbieten Euch nach Haus zu fahren.
Gruß
Martin
Ich danke dir für die guten Wünsche, Martin. Es gab sogar einige Angebote, nach Tunesien zu fliegen und uns abzuholen. Aber ein tunesischer Fahrer oder eben ein Tunesienurlauber auf Rückreise ist da wesentlich kostengünstiger.