Dolomiten: Elektroschock auf der Seiser Alm
Ja, ja – die Seiser Alm ist wunderschön, erst recht bei diesem Traumwetter. Aber der Elektrotourismus ist schon krass.
Schlimme Nacht im Zelt
Die Nacht auf der kleinen, schrägen und buckligen Lichtung im Wald war schlimmer als befürchtet. Zum Glück aber betrafen die Missstände im Untergrund nur meine Schlafposition. Da muss man eben mal die Zähne zusammenbeißen.
Dafür genießen wir dank des gestrigen Supermarktbesuchs in St. Christina Baguette mit Butter und Honig, wobei meine neueste Erfindung ist, das Baguette auf dem heißen Teetopf vorzuwärmen. Das hat echt schon Züge von Wellness im Dolomitenbiwak. Mal sehen, ob’s hilft.
Expeditionsausrüstung für die Seiser Alm
Klamottenmäßig sind wir ja mit winddichten Regenhosen unterwegs, was allerdings bei diesem herrlichen Wetter und bei dieser Streckenführung durch den Wald gar nicht erforderlich, sondern sogar eher hinderlich ist. Da hätte es auch eine Stoffhose gemacht. Aber die blaue Monviso ergibt mit dem blauen Rucksack schon ein stimmiges Gesamtbild wie bei einer richtigen Bergexpedition.
Doch in Wirklichkeit ist es gar keine. Wir laufen nämlich hier unten im Schatten über die feuchtkalte Seiser Alm, statt oben über die sonnigen Bergspitzen zu klettern.
10:00 Uhr allerdings kommt die Sonne rum und die Seiser Alm zeigt sich von der besten Seite. Hier braucht man wirklich weder Bergschuhe noch Bergausrüstung.
Elektroradeln auf der Seiser Alm
Eigentlich wollte ich Mittagessen am Tierser Alpl machen, aber das rückt außerhalb des Blickfeldes. Dafür freuen wir uns an den blonden Haflingern, der kleinen Kapelle und der Aussicht am Dialer Alm-Haus auf 2.145 m.
Und wie wir so hier oben sitzen, kommen viele Elektroradler den Berg hoch. Die Männer voran und entspannt, die Frauen hinterher und leicht genervt. Scheint keine gute Idee zu sein, gemeinsam mit dem Elektrofahrrad Schotterpisten zu befahren. Dieser Elektrobetrieb auf der Seiser Alm ist schon ein bisschen drüber. Aber so ist das nun mal und wird sich auch nicht ändern. Nicht auf der Seiser Alm.
Aber was soll’s, es ist schöne Sonne, der Himmel ist blau und die Sicht ist gut. Und es gibt selbst auf der Seiser Alm Wege, wo keine Elektroräder entgegenkommen.
Mittag in der Mahlknechthütte
Laufen ein Stück den Berg runter und um den Goldkopf herum zur Mahlknechthütte.
Nach dem Mittagessen ziehen wir uns zur Verlängerung der Pause in die schattige Froschhütte zurück und spielen dort Skat. Wir müssen nämlich trödeln, damit wir nicht zu zeitig in Compatsch an der Seilbahn sind. Heute bei dem Kaiserwetter fällt das ja leicht.
Unruhige Dolomiten
Aber bald schon reicht es uns (also mir) mit dem ganzen Elektrotrubel an der Mahlknechthütte. Bis jetzt kannte ich die Dolomiten im Spätherbst nur menschenleer. Aber das hier stellt alles auf den Kopf. Also weiter. Bringen wir das letzte Stück hinter uns.
Selbst Autos fahren einige herum. Die Seiser Alm ist echt ganz schön abschreckend. Schön, aber abschreckend. Was allerdings gut ist, ist die Aussicht auf die umliegenden Berge.
Übernachtungsprobleme in Compatsch
Da unten in Compatsch an der Bergstation der Seiser-Alm-Seilbahn wird unsere Wanderung zu Ende gehen. Aber der Zug fährt erst morgen, also bleiben wir noch hier oben.
In Compatsch aber kristallisiert sich immer mehr raus, dass es schwierig sein wird, in diesem Hotspot zu zelten. Mir ist schon alles egal und ich frage an verschiedenen Hotels nach einem Zimmer. Aber das ist aussichtslos. Entweder die haben alle keine Lust oder wirklich schon geschlossen. Bei meiner erweiterten Umkreissuche finde ich aber natürlich einige Plätze zum Biwakieren. Zurück im Café geht es ziemlich hin und her zwischen Hotel hier oben, Seilbahn runter nach Seis (und dann?) oder einem Notbiwak an Ort und Stelle.
Biwak auf der Kuhweide
Aber erst als wir schon an der Seilbahnstation stehen und runterfahren wollen, dreht die Stimmung dann doch noch und wir laufen die Straße nach oben zu einer schon vorher ausgekundschafteten, schönen Bank mit Aussicht. Das Bergabendbrot finde ich super, auch wenn sich das ein bisschen so anfühlt wie ein Lagerfeuer auf der Prager Straße.
Aber wir haben Sonne bis zuletzt und Aussicht über die ganze Hochalm. Sehen, wie langsam der Verkehr zum Erliegen kommt und dann die Sonne neben dem Schlern untergeht. Echt schön.
Selbst die Kühe kommen jetzt von unten aus dem Tal hoch und stehen da, als ob auch sie die untergehende Sonne bewundern. Und ich bin mir ganz sicher, dass sie das auch wirklich tun.
Erst als es richtig dunkel ist, bauen wir ganz am Rand der Seiser Alm, aber in Sichtweite der nächsten Straße das Biwak auf. Die Ochsen auf der Weide sind ganz neugierig und schauen uns interessiert zu.
Dabei dachte ich, dass uns nichts und niemand sieht, erst recht nicht im Dunkeln. Denn das ist die Grundvoraussetzung, um sowas hier überhaupt machen zu können. Spät kommen, zeitig gehen, kein Licht, kein Lärm, nichts hinterlassen. Aber das muss man eben echt wollen.
Rio Gardessea – Mahlknecht-Hütte – Compatsch | 11,7 km | 51,1 km gesamt | 357 m ↑ 442 m ↓


















