Litauen: Vilnius von oben und unten, vorn und hinten
Vilnius ist wegen der idyllischen Lage zwischen Fluss und Waldhügeln eine nochmals ganz anders schillernde Perle im Reigen der 3 baltischen Hauptstädte.
Wohnmobilstellplatz Vilnius als Parkplatz
Wir stehen gut auf dem Wohnmobilstellplatz Vilnius. Genau auf der Westseite des kleinen Wäldchens. Versteckt unter Bäumen. Im Schatten.
Wobei, so gut ist das auch wieder nicht. Denn da schlafen alle so lange. Ist schon zehn. Um uns herum natürlich wie immer auf Campingplätzen die Familien mit etwas mehr Kindern. Die Nachbarsmutter mit drei kleinen Kindern schwärmt davon, wie gerne sie eine Teenagermutter wäre, deren Kinder bis mittags schlafen. Und ob wir was gehört hätten von dem Baby in der Nacht. Nein, natürlich nicht. Die Lexanscheiben isolieren gut gegen Schall und Wärme. Außerdem stören mich Babys ganz und gar nicht. Weiß ja, dass ich deswegen nicht (mehr) aufstehen muss. Ach, ist das schön, große Kinder zu haben…
Alternativer Flussradweg nach Vilnius
Also spätes Frühstück. Ganz entspannt. Dann auf die Räder. Jeder auf seins. Den vom Campingplatz Vilnius empfohlenen Normalweg oder die Experimentalstrecke? Apemap zeigt mir so ein gepunktetes Wegchen direkt neben dem Fluss an. Skeptische Blicke. Doch, doch. Da kommen wir bestimmt durch. Der studentische Rezeptionist kann zwar gut englisch, ist da aber offenbar auch noch nicht gewesen. Lasst es uns doch einfach mal versuchen. Na gut. Es geht erstmal 20 m steil runter zum Fluss. Stimmt. Das kann man wirklich nicht als Radweg empfehlen.
Aber mit genug kräftigen Händen und etwas gutem Willen ist es machbar. Unten an der Neris geht es ungewiss weiter. Ein Zurück gibt es jetzt nicht mehr. Zumindest nicht ohne Seilwinde.
Der Weg ist schmal und schräg und geht hoch und runter. Aber es fährt sich eigentlich gut. Keiner stürzt ins Wasser.
Und je näher wir Vilnius kommen, desto breiter wird der Weg. An der Fußgängerbrücke liegt das Schlimmste jedenfalls hinter uns.
Vilnius entpuppt sich als traumhaft. Erst kommen die Villen am Fluss im Grünen.
Dann die hypermodernen Architektenträume.
Und nach einem weiteren Bogen schließlich Altstadt und Burgberg.
Alles hübsch dargereicht und vom Radweg aus zu genießen. Fahren immer auf der Nordseite der Neris unter 7 Brücken durch. Apemap zeigt es: Wir sind 8 km vom Wohnmobilstellplatz Vilnius entfernt. Zumindest auf diesem Flussradweg. Könnte also auch eine schöne Wanderung sein.
Jetzt aber kommt nicht mehr viel. Also rüber über die Neris. Wieder ein Trolleybus für meine Sammlung. [Muss die irgendwann mal öffnen.]
Ja, die Kirche der Heiligen Apostel Peter und Paul. Katholisch. Bombastisch. Verpasst.
Hatte nicht damit gerechnet, dass wir bis hierher kommen. War ganz überrascht von dem Prunkbau außerhalb der Altstadt. Selbst das Foto ist eigentlich nur ein Ausschnitt aus einem weiteren Trolleybusfoto. Und diese Tischgesellschaft muss ich auch nachrecherchieren. Die drei Brüder Petras, Antanas und Jonas Vileišis waren Mitglieder des litauisch-intellektuellen Geheimbundes der Zwölf Apostel von Vilnius.
Kathedrale St. Stanislaus und Burgberg Vilnius
Kathedralenplatz unter der Burg. Erstmal Eis essen. Dann die Kathedrale anschauen.
Innen Orgelmusik. Ansonsten Stille. Sehr beeindruckend. Klar, die prunkvollen Nischen und uralten Gruften sind auch nicht schlecht. Aber der Klang der Orgel toppt alles.
Die Obere Burg ragt direkt hinter der Kathedrale auf. Den Burgturm muss man als guter Litauer (und ebensolcher Litauenbesucher) wohl unbedingt gesehen haben. Doch der Aufstieg zum Burgberg ist nicht leicht zu finden. Wird gerade gebaut. Hier isser jedenfalls nicht. Nochmal auf der anderen Seite probieren.
Ah, jetzt. Treppe und Fußweg sind steil und aus grob behauenem Naturstein.
Und wenn wir schon mal da sind, müssen wir natürlich auch auf den Turm gehen. Ist nicht billig, lohnt sich aber. In der ersten Etage ein Überblick über die Unabhängigkeitsbestrebungen der Litauer. Beeindruckende Fotos der 2-Millionen-Menschen-Kette vom 23.08.1989 quer durch das ganze sowjetische Baltikum. Damals genau zum 50. Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes.
Die zweite Etage zeigt die Entwicklung der Stadt aus unterer und oberer Burg, eingeschlossen von der schlängeligen Vilnia und der breiten Neris. Der Kanal im Norden der Oberen Burg ist gebuddelt. Der natürliche Bogen der Vilnia ist heute zugeschüttet. Schöner Platz für eine Burg. Laut Reiseführer haben es die Ordensritter acht Mal versucht und nie geschafft, die obere Burg zu erobern (Seite 21).
Die Stadtentwicklung ist multimedial aufbereitet. Beim virtuellen Blick aus den echten Turmfenstern ziehen die Jahrhunderte vorbei. Schlicht und anschaulich. Super gemacht.
Vom Dachgeschoss des Burgturms schließlich der perfekte Rundblick auf Vilnius. Im Nordwesten das Glasviertel.
Im Südosten die 3 weißen Kreuze für frühchristliche Märtyrer. Und Wald. Wobei hinter den sichtbaren Hügeln kaum noch was kommt. Vilnius hat halt nur 500.000 Einwohner.
Im Süden die Altstadt.
Richtung Südwesten dann der Blick über die Vorstadt und den Stadtpark zum Fernsehturm. Da hinten ist der Wohnmobilstellplatz Vilnius.
Noch ein Hobby sind Wendeltreppenfotos. Immer wieder schön.
Die Altstadt von Vilnius
Die obere Burg ist abgehakt. Mittagessen. Und dann eine kleine Radtour durch die Altstadt.
Vilnius ist ja nicht groß.
Sind schnell am Rand der durchsanierten Altstadt. Gerade auf Fahrrädern. Für solche Touren lohnt sich echt der Aufwand mit einem Heckfahrradträger.
Aber auch an der Peripherie von Vilnius wird gebaut und saniert.
Die freie Republik Užupio
Auf der anderen Seite der Vilnia beginnt das Künstlerviertel. Die freie Republik Užupio.
Jeder will mal auf der Brückenschaukel sitzen und sich fotografieren lassen.
Nutze die Wartezeit für eine kleine Brückeninspektion. Hier müsste auch mal wieder jemand mit dem Pinsel ran.
Aber noch hält das Tragwerk. Unten an der Vilnia ist es schön kühl und dennoch aussichtsreich. Ein kleines Paradies mitten in der großen Stadt.
Aber auch eines der letzten Refugien der freien Kunst und der freien Republik Užupio.
Der Stadtteil Užupis zieht sich in einem Bogen der Vilnia den Hang hinauf.
Eine schöne Lage rund um das Staatssymbol der freien Republik Užupio. Nicht nur für freie Künstler.
Sieht aber so aus, als ob hier nur noch die erfolgreichen Künstler leben.
Jedenfalls ist in der freien Republik Užupio nicht einmal mehr die Platzwahl im Restaurant frei.
Also schnell noch mal hinfahren, bevor auch die letzten Gassen umbewohnt werden.
Durch das grüne Vilnius zum Wohnmobilstellplatz
Das Zentrum von Vilnius ist jetzt auch angeguckt. Also langsam wieder zurück zum Wohnmobilstellplatz Vilnius.
Die Orientierung ist einfach. Es geht genau nach Westen. In Richtung Fernsehturm.
Direkt am unbeeindruckenden Frank Zappa Memorial vorbei. Frage mich, warum Frank Zappa gerade in Vilnius sein erstes Denkmal bekommen hat. Nichts gegen Frank Zappa. Aber warum gerade Vilnius?
Auch die Westvorstadt ist ganz nett. Und hügelig.
Ein schnurgerader, breiter Radweg mit Mittelstreifen führt direkt über die Autobahn in den Stadtpark hinein.
Mitten im Park steht ein großes Amphitheater, in dem die sangesfreudigen Balten gelegentlich ihre Liederfeste abhalten (S. 70).
Vor allem aber ist der Vingio-Park rund um das Amphitheater Vilnius ein riesiger Kinderspielplatz. Natürlich mit Hüpfburgen und Autovermietung. Zum Glück passt da keines unserer Kinder mehr rein.
Zwischen Leitplanke und Geländer führt ein schmaler Radweg auf der Autobahnbrücke zurück zum Wohnmobilstellplatz Vilnius.
Die große Freiheit Wohnmobil
Was machen wir denn jetzt? Der Tag hat noch ein paar Stunden. Mit abnehmender Resturlaubsdauer wächst das Heimweh. Müssen zum Glück ja nichts und sind mit dem Wohnmobil ziemlich frei. Also noch ein Stück fahren. Wenigstens zum nächsten See. Da ist doch schon einer.
Stehen eigentlich gut hier. So zwischen dem See und einer aufgegebenen Kolchose.
Aber der Tag ist immer noch nicht zu Ende. Also wieder auf die Piste und zurück zur Hauptstraße.
Raus aus Litauen. Und im Dunkeln rein nach Polen. Irgendwann mal Stopp, wenden und zurück. Eine Sandpiste in den Wald. Puh, ist der Sand tief. Erster Gang. Vollgas. Wenden im tiefen Gras einer Gabelung. Und stehen. Ob ich morgen früh wieder rauskomme? Ach, wird schon werden. Die Sandbleche an Bord lassen mich ruhig schlafen. Mit denen komme ich überall wieder raus.
Weitere Infos zu Vilnius und der litauischen Freiheitsliebe
- Vilnius City Camping: Klick
- Infos zum Geheimbund der Zwölf Apostel von Vilnius (englisch): Wiki
- Die Eintrittskarten für den Burgturm (5 €/2 €) scheinen auch für das Litauische Nationalmuseum zu gelten: Klick
- Die fotografierten Fotos der baltischen 2-Millionen-Menschen-Kette stammen von Egidijus Malakauskas (oben) und Romualdas Požerskis: Wiki
- Noch mehr Fotos von der Menschenkette von Vilnius nach Riga und Tallinn vom 23.08.1989: Klick
- Verfassung der freien Republik Užupio: Wiki
- Gesamtfahrstrecke vom Wohnmobilstellplatz ins Stadtzentrum von Vilnius, Rundtour und zurück mit dem Fahrrad: ca. 25 km, davon am Flussufer ca. 8 km
[Jetzt bleibt nur die Frage, ob man den Transit durch Polen an einem Tag schafft.]