Rumänien: Flucht ins ungarische Paradies
Die letzte Nacht in Rumänien war die furchtbarste seit Beginn der Aufzeichnungen. Wir hatten uns aufgrund der wenig vertrauenswürdigen Gegend seitwärts in ein übermannshohes Maisfeld geschlagen, sodass wir völlig gegen Diebstahl oder unangenehme Belästigungen geschützt waren. Leider gab es dort abgesehen von dem vielen Staub Unmengen von aggressiven, laut surrenden und unnachgiebigen Blutsaugern. Eigentlich wollten wir ja wie so oft im Freien schlafen, allerdings hielt ich es etwa gegen Mitternacht nicht mehr im Daunenschlafsack aus, da die Temperaturen subtropisch blieben. Und ohne Schlafsack war man den Biestern schutzlos ausgeliefert.
Ich rodete also im Halbschlaf noch einige Maispflanzen und stellte dann das Zelt notdürftig auf. In meinem Tran wollte ich das Zelt erst mit dem Dach nach unten aufstellen, woran ich natürlich laut fluchend scheiterte. Erst A., den ich mit dieser Aktion bedauernswerterweise aus dem Schlaf gerissen hatte, brachte mich zurück auf den Weg der Tugend und gemeinsam schafften wir es dann, das Zelt in völliger Dunkelheit aufzustellen und an ein paar Maispflanzen sowie an unseren Fahrrädern festzubinden.
Heute früh stand das gute Fichtelbergzelt dann so da, als hätte es einen Sturm auf dem Musala hinter sich gebracht.
Beim Frühstück stürzten wir uns auf die letzten Reste des schwarzen Rumänienbrotes. Es schmeckte so gut, dass ich weder Gem noch Honig dazu brauchte. Dann kochten wir uns nicht wie sonst üblich einen Tee, sondern A. verfertigte seinen kostbaren Clic – Sud. Zuvor musste ich ihm aber erst klarmachen, dass wir abends wieder in Ungarn sind und dieses gelbe Pulver dann wirklich nicht mehr als Reserve brauchen. Nur so konnte ich seine übertriebene Sparsamkeit normalisieren, die ja schon dazu geführt hat, dass er noch Clic – Pulver vom letzten Jahr mitschleppt. So gesättigt verließen wir unser sicheres Maisfeld und starteten auf die letzte, unsichere Etappe zur ungarischen Grenze.
In Timisoara / Temesvar füllte ich auf Staatskosten Kocher und Benzinflasche mit dem besten verfügbaren Rumänensprit („Premium“) auf. Auf Staatskosten deswegen, da uns der Tankwart ohne Benzintalons offiziell kein Benzin verkaufen durfte und uns daher aufforderte, einfach welches ohne Bezahlung zu nehmen – der Kommunismus macht’s möglich. So nach dem Motto: Jeder nimmt sich, was er braucht, und gibt, wozu er Lust hat.
Leider machte ich den Kocher aufgrund dieses unschlagbaren Angebotes so voll, dass es in Venga eine mittelmäßige Feuersbrunst gab, als ich vor dem Restaurant den Barthel Juwel 34 vorwärmte. Das Sicherheitsventil setzte natürlich sofort das kostbare, aber eben überschüssige Benzin in einer beachtlichen Wolke frei, die sich sofort entzündete. Trotz der sofort eingeleiteten Löschmaßnahmen versengte ich mir den wertvollen Skalp, der mir trotz der üblichen Schauermärchen von Rumänien immer noch nicht abgezogen wurde. Aber wenigstens konnten wir dann unter den (neu)gierigen Blicken der Rumänen unsere selbst gekochte ungarische Fleischsuppe löffeln – im Restaurant wohlgemerkt, das aber dank Ceausescu sowieso nichts zu Essen auf dem Speiseplan hatte. Dazu tranken wir 4 Limonaden für insgesamt 30 Lei (10 LOM), die aber zum Glück nicht wie die gestrigen nach Knoblauch schmeckten.
Derartig gestärkt setzten wir in Arad den letzten Kaffee und Pfeffer für 70 bzw 10 Lei ab, die wir aufgrund der bevorstehenden Einreise nach Ungarn nun nicht mehr als Notreserve zum Tauschen brauchten. Kurz nach der City entwischte mir dann A. im Windschatten eines alten Roman Diesel, den ich dummerweise beim Anfahren überholt hatte, statt langsam mitzubeschleunigen. So wurden wir das erste Mal ausgerechnet dann getrennt, als wir ein großes Kartoffelfeld passierten, von dem aus wir mit Knollen beworfen wurden. Die Flachlandnichtrumänen haben zwar nicht getroffen, aber so fällt uns der Abschied von Rumänien und den echten Rumänen und damit von Südosteuropa, den schönen Bergen und dem Abenteuer nicht allzu schwer. Schwer tat sich aber der rumänische Zoll, der in 45 Minuten kein einziges Auto abfertigte, sondern lieber den Schichtwechsel zelebrierte.
Nach dem Grenzübertritt taten wir das, worauf wir uns schon sehr lange gefreut hatten: Wir setzen uns direkt hinter der ungarischen Grenze vor einen westmäßig ausgestatteten Laden und tranken erst einmal 2 l Pepsi-Cola, die noch mit 2 Eis am Stiel vorgekühlt wurden. Die luxuriösen ungarischen Straßen genießend, zogen wir dann in Mako ein, nicht ohne vergessen zu haben, U eine Nachricht auf dem Grenzcamp zu hinterlassen, damit wir uns am nächsten Tag wie vor 6 Wochen vereinbart hier treffen können.
Beim Abendbrot lachten wir noch über die Vorräte, die wir wieder aus Rumänien herausbrachten:
- Eine bulgarische Fischkonserve;
- ein Glas hausgemachte, bulgarische Wurst;
- 6 Beutelsuppen (DDR),
- eine halbe harte Wurst (DDR);
- 4 Tafeln Schokolade (DDR);
- ein halbes Kilogramm Rosinen („DDR“);
- ein Brot (RO);
- ein Glas Gem de Mure (rumänische Brombeermarmelade);
- einen halben Honigmann (BG);
- eine Scheibe Speck (BG);
- ein halbes Kilogramm bulgarische Spezial-Hausmacher-Gewürzmischung (ich frage mich wozu);
- ein halbes Kilogramm Zucker (BG);
- anderthalb Kilogramm Traubenzucker (DDR) sowie
- Pulver für noch ca. 5 Liter vorschriftsmäßig gemischten Clic-Sud (BRD). Allerdings darf das Westzeug aus übertriebener Sparsamkeit heraus nur in stark gestrecktem Zustand konsumiert werden und reicht daher eher für 10-20 l. Eigentlich könnte man das Wasser in dem zugestandenen Mischungsverhältnis auch pur trinken.
Sag – Timisoara / Temeschwar – Arad – Nadlac – Mako (146 / 4.523 km)
[Nach einem Ruhetag in Mako sind wir dann auf der Europastraße 222 km nach Budapest geradelt.]